Zukunft
30.09.2025

Vom Flüchtling zur Fachkraft  

Sprachkurse, Ausbildung, feste Jobs: Der Logistikkonzern setzt gezielt auf Geflüchtete – auch als Antwort auf den demografischen Wandel und den wachsenden Bedarf an Arbeitskräften. Ein gelungenes Beispiel ist der Afghane Rafie Mortaza, der auch aufseiten der Flüchtlinge eine Bringschuld sieht. 
    

Rafie Mortaza, Zusteller bei der DHL Group und Geflüchteter aus Afghanistan, vor einem Haus in seinem Zustellbezirk in Bonn. Rafie Mortaza, Zusteller bei der DHL Group und Geflüchteter aus Afghanistan, vor einem Haus in seinem Zustellbezirk in Bonn. Foto: © Hannah Schmitz/KNA

Es regnet in Strömen, als Rafie Mortaza sein E-Trike vor einer Bäckerei im Bonner Süden abstellt. Mortaza ist 27. Vor rund drei Monaten hat er seine Ausbildung als Zusteller bei der Deutschen Post abgeschlossen. Offiziell ist er nun Fachkraft für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen bei der Tochter des Logistikkonzerns DHL Group. Der Regen mache ihm nichts aus, erklärt er, immerhin sei es noch recht warm draußen. 

Mortaza kommt aus Afghanistan, aus einem Dorf in der Provinz Ghazni, südwestlich von Kabul. Schon als Jugendlicher sei er mit Freunden „abgehauen“, in den Iran. „Es war schon immer im meinem Kopf, dass man wegmuss. Ich war nicht so religiös, und ich wollte Fußball spielen, aber das durfte ich nicht“, sagt er. Seit er ein Kind war, sei er Fan des FC Barcelona. Im Iran arbeitete er erst bei einem Gemüsehändler, später als Fliesenleger auf Baustellen. 

Eingeladen von „Tante Merkel“ 

Sein Traum war es, nach Australien auszuwandern – weil dort schon andere aus seinem Dorf lebten. „Da habe ich eine gute Zukunft für mich gesehen.“ Doch die Jahre verstrichen; dann erinnerte er sich, dass „Tante Merkel“ gesagt habe, man könne kommen. Rafie Mortaza bezog das auch auf sich und machte sich 2020 auf den Weg in Richtung Deutschland. Seine Flucht hat ihn durch mehrere Länder geführt und mehrere tausend Euro gekostet. Zweieinhalb Monate sei er immer in Bewegung gewesen – 2021 kam er schließlich in Deutschland an. 

Heute, vier Jahre später, hat er bereits einen festen Arbeitsvertrag und verdient nach Tarif. Das ist nicht die Regel: Von den Geflüchteten, die schon 2015 nach Deutschland kamen, haben zwar 64 Prozent laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) einen Job. Das sind fast so viele wie in der Gesamtbevölkerung, bei der die Beschäftigungsquote demnach bei 70 Prozent liegt. 
     

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Niedriges Einkommensniveau 

Allerdings: Das Einkommen Geflüchteter liegt im Schnitt deutlich unter dem der Gesamtbevölkerung. So lag das mittlere Verdienstniveau von vollzeitbeschäftigten Geflüchteten 2024 bei 70 Prozent des mittleren Verdienstniveaus aller Vollzeitbeschäftigten – und damit laut IAB nur knapp über der Niedriglohnschwelle von 66 Prozent. 

„Geflüchteten Menschen mit Arbeitserlaubnis einen schnellen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, ist nicht nur eine Voraussetzung für gesellschaftliche Integration, sondern liegt im Eigeninteresse der deutschen Wirtschaft“, lässt sich der Personalvorstand der DHL Group, Thomas Ogilvie, in einer Mitteilung vom Juni zitieren. Der Konzern unterstützt Flüchtlinge demnach mit Sprachkursen, Bewerbungstrainings und Praktika. Wie viel ihn das kostet – personell und finanziell –, dazu will DHL auf Nachfrage keine Angaben machen. 

Geregelte Integration wichtig 

„Wir glauben, dass Vielfalt unsere Stärke ist und uns resilienter macht. Zahlen nennen wir hier nicht“, erklärt eine Sprecherin. Zahlreiche DHL-Beschäftigte investierten aber freiwillig Stunden, um sich zu engagieren. 

Ganz uneigennützig agiert die Post damit nicht. Zwar schaffe man es bislang „sehr gut, genügend Kolleginnen und Kollegen an Bord zu haben, wenn die Paket- und Briefmengen steigen“. Grundsätzlich sei es aber richtig, dass geregelte Integration wichtig sei, damit das Unternehmen dem demografischen Wandel sowie dem Fach- und Arbeitskräftemangel etwas entgegensetzen könne, erläutert die Sprecherin.

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Vom Briefesortieren in die Ausbildung 

Fließtext: Videlic ieturibus, conesti ditiam rem imo con comnis qui re nos repelestibus asperibus Nach DHL-Angaben kommen viele der aktuell beschäftigten Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder der Ukraine. Sie seien vor allem in der Zustellung oder Sortierung von Briefen und Paketen eingesetzt, weil dort ein niedrigschwelliger Einstieg möglich sei. 

Innerhalb der vergangenen zehn Jahre, seit 2015, hat DHL eigenen Angaben zufolge 30.000 Flüchtlinge in Lohn und Brot gebracht – und zählt damit zu den größten Arbeitgebern weltweit für geflüchtete Menschen. Seit 2015 hat der Logistik-Riese zudem rund 350 Menschen mit Fluchtgeschichte ausgebildet. Auch das sei in Relation zu anderen Unternehmen viel. Zum Vergleich: Allein in diesem Jahr bildet die Post hierzulande insgesamt 1.000 junge Menschen aus. 

Traum vom Stammbezirk 

Für Mortaza war es wichtig, einen Ausbildungsabschluss in der Tasche zu haben. Denn in Deutschland, so der Afghane, gehe ohne Bescheinigung „nichts“. „Selbst wenn du Messi bist, spielst du hier ohne Papiere in der Kreisliga“, sagt er in Anspielung auf den argentinischen Fußballstar. 

Dass er selbst so schnell die deutsche Sprache gelernt und einen Beruf erlernt hat, erklärt der 27-Jährige damit, dass er schon immer einen „guten Kopf“ gehabt habe. Über die Lehrerin seines Deutschkurses sei er zudem an Praktika gekommen, schließlich auch bei der Post. Das habe ihm Spaß gemacht. „Man guckt nicht auf die Uhr, sondern nur auf den Weg und die Straße“, erklärt er. Es folgten vier Monate Arbeit auf Probe, schließlich die zweijährige Ausbildung. 

Familie und Fußballtrainer 

Sein Wunsch ist es, irgendwann nicht mehr als Springer zu arbeiten, sondern einen festen Stammbezirk mit Postleitzahl zu haben: „Dann kennt man jedes Haus, jede Mülltonne und hat gar keinen Stress.“ Mortaza glaubt, dass jeder Mensch, der geflüchtet ist, einen Grund dafür hatte. „Aber jeder muss auch für sich selber sorgen.“ Wer sich nicht integriere oder nach Jahren noch nicht arbeite, der solle besser wieder gehen, ist seine Überzeugung. Er selbst hat noch einen weiteren Wunsch für seine Zukunft: eine Familie zu gründen und in seiner Freizeit eine Fußballmannschaft zu trainieren – gerne auch innerhalb der DHL. 

Hannah Schmitz

KNA
Artikel von KNA
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