200 Jahre Personenverkehr bei der Bahn
Das sind Deutschlands Bahnprobleme
Seit Wochen schon feiern sie im Nordosten Englands die Fahrt des ersten Personenzugs der Welt. 200 Jahren danach versucht die Eisenbahn in Deutschland, neue Fahrt aufzunehmen. Eine Reise durch Raum und Zeit.

Der Held des Tages hatte sich am Abend des 27. September 1825 längst verabschiedet, als im Rathaussaal von Stockton der letzte Toast auf ihn ausgebracht wurde. George Stephenson war schlicht zu platt. Der Ingenieur und seine Crew hatten vor 200 Jahren im Nordosten Englands Historisches vollbracht und den ersten Personenzug aufs Gleis gesetzt. Tausende Menschen säumten an jenem Tag die rund 40 Kilometer lange Trasse zwischen Shildon, Darlington und Stockton. Zeitweise soll der Zug eine Reisegeschwindigkeit von fast 20 Stundenkilometern erreicht haben. Pferde und Kutschen versuchten, mit dem Dampfross Schritt zu halten – vergeblich.
Heute sieht die Lage zumindest in Deutschland, wo der erste Personenzug am 7. Dezember 1835 zwischen Nürnberg und Fürth verkehrte, mitunter anders aus. Böse Zungen behaupten, dass die Deutsche Bahn an manchen Strecken hart daran arbeite, überhaupt wieder auf eine vergleichbare Reisegeschwindigkeit zu kommen. Pendler auf der bis Ende April 2026 gesperrten Zugstrecke zwischen Berlin und Hamburg werden ein Lied davon singen können.
Überlastete Schienenwege in Deutschland
Aber auch die linke Rheinstrecke in Nordrhein-Westfalen gehört zu den vielen neuralgischen Punkten im Streckennetz. Die Allianz Pro Schiene spricht von insgesamt 1.300 Kilometern chronisch überlasteter Schienenwege, die überwiegend im Westteil der Republik liegen. Konkret heißt das: Zwischen Bonn und Köln geht seit Jahren kaum etwas – und wenn, dann sind die Züge oft heillos überfüllt.
Immerhin: Diese Erfahrung verbindet die Passagiere im Rheinland mit
den damaligen Premierengästen in England. Bei der Ankunft in Stockton
drängten sich schließlich 600 Gäste in den Waggons. Zuvor waren in
Darlington noch Musiker von „Mr Meynell’s Brass Band“ eingestiegen. Sie
sorgten für die musikalische Untermalung der restlichen Fahrt – was in
unseren Tagen gern Kegelclubs oder feiernde Junggesellen erledigen. In
Stockton begrüßten 21 Salutschüsse den einfahrenden Zug. Spätestens in
dem Moment wussten Stephenson und seine Mitstreiter, dass sich all die
Mühen der vergangenen Jahre gelohnt hatten.
Steigende Kosten bereits damals
Wie bei modernen Infrastrukturprojekten auch, gab es technische Herausforderungen, dazu einflussreiche Gegner und politische Ränkespiele. Den Eisenbahnpionieren stellte sich der Earl of Darlington entgegen. Er wollte seine ausgedehnten Ländereien partout nicht für das Projekt hergeben: Die Fuchsjagd war dem Edelmann wichtiger. Die Strecke musste neu geplant werden, was die Kosten in die Höhe trieb; Stuttgart 21 lässt grüßen. Bau und Erhalt von Gleisanlagen war eben schon immer ein komplexes Unterfangen.
Pendler und Fahrgäste auf der Strecke Bonn–Köln können sich beispielsweise schon jetzt auf eine 17-monatige Teilsperrung von Juli 2028 bis Dezember 2029 einstellen. Dann sollen vier Brücken in Köln saniert werden. Die Planungsunterlagen für zwei von ihnen wurden den Angaben zufolge bereits 2016 eingereicht. „Hier warten wir auf den Planfeststellungsbeschluss“, so ein Bahnsprecher. Bei allen Brücken seien zudem noch Fragen des Denkmalschutzes mit den zuständigen Behörden zu klären.
Zu wenig Geld vom Bund
Die Frage, wann der Betrieb wohl wieder störungsfrei funktioniert, will der Sprecher lieber nicht beantworten. „Prognosen werden wir keine abgeben, das haben wir in der Vergangenheit oft genug getan und konnten die Vorgaben dann nicht einhalten.“ Die allgemeine Misere fasst er so zusammen: In den vergangenen Jahrzehnten sei viel zu wenig investiert und vom Bund zu wenig Geld für die Schieneninfrastruktur zur Verfügung gestellt worden. „Gleichzeitig nimmt das Verkehrsvolumen stetig zu.“
Ein weiteres Problem: Die Mehrfachbelastung des Streckennetzes samt damit einhergehender Zersplitterung der Zuständigkeiten. Die DB selbst führt auf der Strecke Köln–Bonn nur den Fernverkehr und den Güterverkehr – durch DB Cargo – durch. „Für den Rest sind andere Unternehmen verantwortlich“, erläutert der Sprecher. Und um es noch ein wenig komplizierter zu machen: „Mit der Bahnreform von 1994 wurde der Nahverkehr in die Verantwortung der Länder gelegt.“
Verspätungen und Zugausfälle
Nachfrage in dem vom Grünen-Politiker Oliver Krischer geführten Landesverkehrsministerium Nordrhein-Westfalen. Die Ursachen für Verspätungen und Zugausfälle seien vielschichtig, heißt es dort. „Sie können infrastrukturell oder durch personelle Ausfälle bedingt sein.“ Es sei gut, dass die Bahn die Generalsanierungen endlich angehe. Denn: „Ein gut ausgebauter und zuverlässiger Nahverkehr ist eine zentrale Säule einer Mobilität der Zukunft.“
Die Eisenbahn als Versprechen auf eine bessere Zukunft – das war auch
1825 schon so. Damals sollte sie weniger Passagiere als vielmehr Kohle
in die Städte transportieren. Heute kostet sie Kohle – und steht für die
Abkehr von fossilen Brennstoffen und vom Verbrenner-Auto hin zu
umweltfreundlicheren Verkehrskonzepten. Im Nordosten Englands feiern sie
seit Wochen schon die glorreiche Vergangenheit. Stolze 64 Seiten
umfasst der von den „Freunden der Stockton & Darlington Eisenbahn“
zusammengestellte Veranstaltungskalender.
[inne]halten - das Magazin 20/2025

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Nächster Halt: neue Strategie
In Deutschland will Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder in der kommenden Woche seine Eckpunkte einer Bahnreform vorlegen. „Erst die Strategie, dann das Personal“, so das Credo des CDU-Politikers, nachdem er den bisherigen Bahnchef Richard Lutz geschasst hatte. An markigen Ansagen herrschte in der jüngeren Geschichte der Bahn noch nie ein Mangel. „Die Bahn ist pünktlich wie selten in ihrer Geschichte“, frohlockte etwa ein Vorgänger von Lutz, Rüdiger Grube, 2012.
Heute bekommen die in Köln auf ihren Anschluss wartenden Reisenden Ohrensausen angesichts der vielen Verspätungsdurchsagen. Das, was da kundgetan wird, entspricht nicht immer dem, was in der App steht oder auf den Anzeigen auf den Gleisen zu lesen ist. „Es gibt bis heute keine einheitliche Datenquelle für die Verspätungen aller Züge“, beklagt die Allianz pro Schiene. Da hatten es die Betreiber der Stockton & Darlington Eisenbahn bei nur einem Zug bedeutend einfacher. Das neue Verkehrsmittel etablierte sich freilich in rasanter Geschwindigkeit. 1830 hatte das Unternehmen 12 und 1832 bereits 19 Lokomotiven. Quasi überall entstanden neue Schienenstränge.
Achtung, Zugbetrieb!
Inzwischen gelten die Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur als ein Gradmesser für den Stellenwert, den die Bahn genießt. Im vergangenen Jahr waren das in Deutschland 198 Euro; eine Steigerung von 70 Prozent im Vergleich zu 2023, aber immer noch weniger als in vielen anderen europäischen Ländern. „Mit dem Ergebnis, dass wir hierzulande neidisch auf die pünktlichen und verlässlichen Zugverbindungen unserer Nachbarn schauen“, bedauert die Allianz Pro Schiene.
Und so fahren in der Schweiz selbst historische Dampfzüge nach Plan. In Belgien können Reisende problemlos und kurzfristig Räder auch in Intercity-Zügen mitnehmen. Und in ganz Luxemburg ist der Personenverkehr kostenlos. Einen Trost hat die Allianz Pro Schiene aber für die gebeutelten Kunden der Deutschen Bahn: „Österreich stand vor 20 Jahren vor ähnlichen Herausforderungen und hat die Wende zum Besseren geschafft.“
Von Joachim Heinz