Kultur und Wissen
26.09.2025


Schulanfang nach dem Zweiten Weltkrieg

So lief der Schulbeginn 1945

Hunger, Papiermangel, kalte Klassenzimmer, Schulspeisung – und auch noch der ein oder andere ehemalige Nazilehrer: In Deutschland begann nach dem Zweiten Weltkrieg die Schule am 1. Oktober wieder.
    

Einige Monate nach dem Zweiten Weltkrieg war endlich wieder Unterricht ohne nationalsozialistische Ideologie möglich. Einige Monate nach dem Zweiten Weltkrieg war endlich wieder Unterricht ohne nationalsozialistische Ideologie möglich. Foto: © imago/United Archives

Einen Schulweg von einer Stunde, oft mit knurrendem Bauch und nicht sehr warm angezogen – das mussten nach dem Zweiten Weltkrieg im Herbst 1945 viele Schulkinder hinnehmen. Dennoch: „Sie freuten sich auf die Schule. Der Krieg war vorbei“, sagt Michael Dückershoff, Leiter des Westfälischen Schulmuseums in Dortmund. Endlich wieder etwas lernen, statt im Bombenkeller zu sitzen oder sich im erzwungenen Volkssturm Panzern entgegenzuwerfen. Nach dem Ende von Nazideutschland im Mai 1945 begann am 1. Oktober vor 80 Jahren die Schule wieder. Wegen des Krieges war der Unterricht monatelang ausgefallen. 

Der Anfang war nicht leicht: Die Lehrer waren entweder gefallen oder in Gefangenschaft, viele Schulen waren komplett zerstört. Das führte zu einer Art „Schichtunterricht“ und Klassen von rund 60 Kindern: Es gab einfach nicht genug Räume, in denen der Unterricht hätte stattfinden können.

Entnazifizierung von Lehrern und Lehrplänen

Die Alliierten hatten auch die Demokratisierung der Deutschen im Blick. Manche Kinder hatten bis dahin nur das Hitler-Regime erlebt, andere waren von ihren Eltern im Sinne des Nationalsozialismus erzogen worden. „Nach der Besetzung waren alle Schulen in Deutschland geschlossen worden. Vor der Wiederaufnahme des Unterrichts sollten die Lehrer sowie Lehrpläne und Lehrmittel entnazifiziert werden“, schreibt der Historiker Wolfgang Benz in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. 

Das aber war nicht nur ein organisatorisches Problem. Laut Benz hätte eine konsequente Entnazifizierung „auch auf lange Zeit“ den Schulbetrieb verhindert. „Gegen alle Bedenken und trotz mangelhafter Vorbereitung wurden daher in allen Zonen im Laufe des Herbstes 1945 die Schulen wieder eröffnet, hauptsächlich, um die Kinder und Jugendlichen von der Straße zu bringen.“

     

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An Reformen war nicht zu denken

Weil Lehrer fehlten, habe man Pensionäre geholt und Schulhelfer, etwa Studenten, eingestellt, so Benz. An Reformen sei zunächst nicht zu denken gewesen. Wer unterrichten wollte, musste ein Papier ausfüllen, in dem er versicherte, dass er NS-Gedankengut aus dem Unterricht heraushält. „Es wurden dann auch Lehrkräfte wieder eingestellt, die schon in der NS-Zeit aktiv waren. Schulleitungen hat man aber komplett ausgewechselt“, erzählt Dückershoff.  

Der Historiker, der vor ein paar Jahren eine Ausstellung über Schulen der Nachkriegszeit kuratiert und dafür ehemalige Schulkinder befragt hat, erzählt von speziellen Hausaufgaben der Kinder: „Manche mussten täglich einen sauberen Ziegelstein mitbringen. Der wurde zum Wiederaufbau des Schulgebäudes benötigt. Oder Heizmaterial, damit man die Schule heizen konnte. Das war auch knapp.“ 

Bücher aus der Weimarer Republik

Auch Papier gab es kaum; die Schüler schrieben zum Beispiel auf Zeitungsränder oder alte Schiefertafeln und mussten auch viel auswendig lernen, weil es keine Bücher gab. „Das war natürlich nicht so beliebt, aber ,später profitierte man davon‘, erzählte mir eine ältere Dame einmal“, so Dückershoff. Manchmal wurden auch Bücher aus der Weimarer Republik eingesetzt.  

Die Bücher aus der Nazizeit konnte man nicht ohne Weiteres übernehmen: Verfängliche Passagen wurden herausgerissen oder überklebt. „In vielen Schulbüchern der Nazizeit wurden Aufmärsche geschildert, oder Hitler war abgebildet. In der Fibel der Volksschule befand sich damals auf jeder dritten Seite eine Hakenkreuzfahne“, so Dückershoff.

Verfängliche Rechenaufgaben

Auch Rechenaufgaben in Mathebüchern offenbarten NS-Gedankengut: Es gab verfängliche Fragen über Juden oder zur Euthanasie. So hätten Schüler etwa in Rechenaufgaben ermitteln sollen, wie viel ein Mensch mit Behinderung den Staat koste – und wie viel gesunde Arbeiter man stattdessen von dem Geld ernähren könnte, berichtet der Museumsleiter.  

Da viele Kinder stark unterernährt waren, führten die britischen und US-Alliierten eine Schulspeisung ein – im Volksmund hieß das „Quäker- oder Schwedenspeisung“ – und finanzierten sie auch: Dafür mussten Kinder einen Topf oder Henkelmann mit in die Schule bringen und bekamen dann kostenlos „eine Gemüse- oder Haferflockensuppe oder einen Hirsebrei“.

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Besonderer Fokus auf der Schule

Klar sei den Alliierten gewesen, dass es wichtig sei, einen besonderen Fokus auf die Schule zu legen. „Der Militarismus und die NS-Ideologie mussten raus, aus den Büchern und den Lehrern“, sagt Dückershoff. Dennoch hätten die Alliierten sehr unterschiedliche Vorstellungen davon gehabt, wie Schule aussehen sollte, erklärt er.  

Die Sowjets und die US-Amerikaner beispielsweise hätten ihre jeweiligen, aus der Heimat bekannten Systeme eines längeren gemeinsamen Schulbesuchs etablieren wollen; die Sowjetunion führte in ihrer Besatzungszone die Einheitsschule ein. „Also nicht nur ein sechsjähriger gemeinsamer Besuch einer Schule, bevor man die Schule wechselte. Letzteres haben die Amerikaner und Briten überlegt“, so Dückershoff. Ein amerikanischer Pädagoge stellte die These auf, dass die frühe Trennung voneinander bei den Volksschülern ein Minderwertigkeitsgefühl hervorgerufen hätte, „auf die die NS-Ideologie dann aufsetzen konnte“, so Dückershoff.

Unterschiede zwischen den Besatzungszonen

Inhaltlich gab es große Unterschiede zwischen den jeweiligen Besatzungszonen. Benz weist darauf hin, dass beispielsweise Zehntausende Neulehrer in der sowjetischen Zone Antifaschisten sein mussten und der Arbeiterklasse angehören sollten. Arbeiter- und Bauernkinder sollten demnach besonders gefördert werden. Dagegen habe das französische Schulsystem, das zunächst in der entsprechenden Zone eingeführt werden sollte, einen „liberalen Geist mit elitärer Zielsetzung“ vereinigt und einer „Elitenbildung“ gedient. „Die Politik greift in jeder gesellschaftlichen Phase in die Schule ein“, sagt Dückershoff. „Das ist bis heute so.“

Von Nina Schmedding

KNA
Artikel von KNA
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