Krisen und Chancen
22.09.2025

Missbrauch an Ordensfrauen in Deutschland: Studie enthüllt Täterprofile

Missbrauch an Ordensfrauen ist kein fernes Problem Afrikas oder Asiens – er geschieht auch in Deutschland. Die Regensburger Theologin Barbara Haslbeck legt erstmals eine umfassende Studie für den deutschsprachigen Raum vor. Im Interview erklärt sie, warum Täter nicht nur Männer sind, wie spirituelle Macht missbraucht wird und weshalb Betroffene trotz aller Risiken sprechen sollten.
    

Foto: © milkovasa – stock. adobe.com

Frau Haslbeck, wie sind Sie an dieses schwierige Thema geraten?

Sexueller Missbrauch beschäftigt mich seit 25 Jahren, sowohl als Forscherin als auch in der Arbeit mit Betroffenen. Das Thema hat mich nie losgelassen. So komisch es klingen mag: Es ist eine total erfüllende Tätigkeit.

Weiß man, wie viele Ordensfrauen Missbrauch erlebt haben?

Genaue Zahlen gibt es nicht. In einer US-Untersuchung von 1998 gaben von den befragten Ordensfrauen knapp 40 Prozent an, als Kind oder Erwachsene missbraucht worden zu sein. Meine Studie ist die erste für den deutschsprachigen Raum und die mit dem umfassendsten Datenmaterial, das weltweit bisher qualitativ erhoben wurde.

Sie konnten mit 15 Frauen intensive Interviews führen. Das klingt nicht nach viel. Kann man so zu verallgemeinerbaren Erkenntnissen kommen?

Ziel dieser Forschung ist es, bislang nicht beschriebene Wirklichkeit zu erschließen und daraus typische Muster des Missbrauchs zu beschreiben. Daran könnte sich eine quantitative Erhebung zum Ausmaß des Missbrauchs anschließen. Angesichts der heiklen Thematik sind 15 Interviewpartnerinnen viel.


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Wie lautet Ihre zentrale Erkenntnis? 

Ganz elementar: Sexuellen Missbrauch an Ordensfrauen gibt es auch in Deutschland. Er kommt nicht nur in Afrika und Asien vor, wie manchmal behauptet wird. Missbrauch geschieht dort, wo Frauen abhängig sind, von Oberen oder in der geistlichen Begleitung.

Welcher Zeitraum im Ordensleben ist besonders kritisch?

Für den Großteil der befragten Frauen begann der Missbrauch in der Einführungsphase, sei es bei einem klassischen Orden oder auch einer Neuen Geistlichen Gemeinschaft. Die Betroffenen sind jung, begeistert und offen, sie sehnen sich danach, ihre Berufung entfalten zu können.

Sind die Täter immer Männer?

Nein. Mir haben mehrere Frauen von Missbrauch durch Mitschwestern berichtet - in einem Ausmaß, mit dem ich nicht gerechnet habe. Es waren stets Personen mit Weisungsbefugnis, sie pochen auf ihre Überlegenheit. Ein markanter Unterschied zu den männlichen Tätern: Täterinnen deuten das sexuelle Geschehen weniger stark spirituell.

Was heißt das?

Ein männlicher Begleiter sagt etwa: "Was ich mit dir tue, soll dir zeigen, wie sehr Gott dich liebt." Was mich besonders erschreckt hat: Neun Frauen hatten schon als Kind sexuellen Missbrauch erlebt und brachten diese Belastung in der geistlichen Begleitung zur Sprache.

Und dabei wurden sie erneut missbraucht?

 Ja - wobei die Täter ihr Handeln mit Erfolg kaschierten als etwas, das angeblich zur Heilung des Traumas beitragen würde. Verschärfend kommt hinzu, wenn es in den Gemeinschaften keinen Gesprächsraum für schwierige Erfahrungen aus der Kindheit gibt. Eine Befragte hat sogar geschildert, dass ihr keine Psychotherapie erlaubt wurde. Es fehlt oft auch an der Möglichkeit, in einer erwachsenen und geschützten Weise über Sexuelles zu sprechen.

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Ist geistliche Begleitung per se ein Risiko?

Nein. Aber das Setting der Begleitung kann benutzt werden. Keine Frau hat erwähnt, dass ihr mal jemand Kriterien für eine gute geistliche Begleitung genannt hätte, etwa eine Ausbildung. Ihnen wurden Personen empfohlen, die in der Gemeinschaft beliebt sind, die eine starke charismatische Ausstrahlung haben. Die Begleiter testen in kleinen Schritten die Grenzen aus, das Verhältnis wirkt therapeutisch oder freundschaftlich. Es kommt zu stundenlangen nächtlichen Telefonaten, gemeinsamen Reisen, Eucharistiefeiern zu zweit auf engstem Raum.

Das klingt eher nach Einvernehmen als nach Missbrauch.

Vorsicht, Falle. Etwa die Hälfte der Frauen in meiner Studie hat Missbrauch von Anfang an als etwas erlebt, was sie nicht wollten. Sie glaubten, es ertragen zu müssen, weil sie in der Gemeinschaft bleiben wollten. Die anderen Frauen fühlten sich emotional eng gebunden an die Täter, sie fingen an, für sie nicht nur zu putzen und zu kochen, sondern auch die Predigt zu verfassen. Bei manchen dauert es Jahre, bis sie realisieren, was wirklich passiert.


Barbara Haslbeck, Theologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt Barbara Haslbeck, Theologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt "Gewalt gegen Frauen in der katholischen Kirche" an der Universität Regensburg. Foto: © Barbara Haslbeck/KNA

Nämlich wie?

Irgendwann gibt es einen "point of no return", an dem den Frauen klar wird: Hier geht es nicht um mich, ich werde ausgebeutet. Typischerweise erkennen die Frauen das, wenn sich zeigt, dass der Priester weitere Frauen in ähnlicher Weise benutzt. Auch wenn auf den ersten Blick keine Gewalt im Spiel ist, geht es eindeutig um Missbrauch. Ihre Befragten haben Empfehlungen an andere Betroffene.

Welche?

Die wichtigste: Darüber sprechen, obwohl es eine enorme Krise mit heftigen körperlichen und psychischen Nebenwirkungen auslöst und zu Konflikten in den Gemeinschaften führt. Dann: Das eigene Denken nicht aufgeben oder wiedergewinnen. Um zu begreifen, wie die Manipulation gelaufen ist. Missbrauch beeinträchtigt auch die eigene Wahrnehmung. Und: Die Ideale, die den Missbrauch flankierten, kritisch hinterfragen. Etwa dass eine gute Ordensfrau das eigene Ich aufzugeben hat, dass sie einen Priester immer zu unterstützen hat.

Interview: Christoph Renzikowski

KNA
Artikel von KNA
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