Limberlost

Mit Limberlost ist Robbie Arnott ein ganz besonderer Entwicklungsroman gelungen: Der Tasmanier Ned erzählt in kurzen Ein-, oft auch Rückblicken an seine Kindheit, von einem Sommer als Teenager und seinem Leben als Erwachsener, als Ehemann und Familienvater. Den größten Teil des Buches lebt er als Teenager mit seiner Schwester Maggie und seinem Vater auf einer Obstplantage. Seine älteren Brüder kämpfen im Zweiten Weltkrieg, seine Mutter ist früh verstorben. Mit ihr verbindet ihn der Traum von Freiheit auf dem Wasser. Ned lebt nahe eines Flusses und möchte mit einem Boot die Welt entdecken. Um diesen Traum zu erfüllen, jagt er als 15-Jähriger Kaninchen, um deren Felle zu verkaufen. Es gelingt ihm, ein besonderes Boot zu erwerben und zu restaurieren. Zunächst ein Geheimnis, bringt dieses Boot ihn zumindest zeitweise seinem Vater und seiner Schwester näher. Die Umsetzung seines Fernwehs scheitert an der Alltagsrealität - er verkauft das Boot, um die Obstplantage zu retten. Ned ist sehr introvertiert, kann seine Gefühle kaum verbalisieren. Blicke, Mimik, Gestik und Taten ersetzen meist das gesprochene Wort. Selbst in seiner Lebensmitte und am -ende kann er sich Frau und Töchtern gegenüber nicht öffnen. Arnott verfährt fast ebenso mit den Lesenden, den Namen von Neds Ehefrau enthüllt er erst sehr spät. - Der Roman erfordert durch die Zeitsprünge zwischen den Kapiteln genaues Lesen, auch ein "Lesen" der Gefühlswelt der Protagonisten. Stilistisch den Charakteren angepasst, sind die Sätze oft kurz, die Wortwahl in der Beschreibung der Handlung oder der Umgebung hingegen sehr poetisch und mit vielen Adjektiven ausgeschmückt. Ein Roman, der mit der Sprachlosigkeit und Identitätsfindung Neds auch einiges über die Geschichte Tasmaniens erahnen lässt und den Wunsch nach tiefgründigerem Wissen weckt. - Für Leser:innen mit Liebe zum Wort äußerst empfehlenswert.