Menschen am Kreuzweg
Wer war damals dabei, als sie Jesus nach Golgotha führten? Was dachten diese Zeugen der Passion Jesu wohl? Manche von ihnen werden in der Bibel nur mit einem kurzen Satz erwähnt oder kommen lediglich als passive Zuschauer vor. Bei vielen sind ihre tiefere Motivation und ihre Gefühle für uns nur zu erahnen. Manches lässt sich aber durchaus aus den Erkenntnissen der Exegese begründet ergänzen.
Pastoralreferentin Susanne Deininger hat 2020 während des Corona-Lockdowns 15 Einzelpersonen und vier Personengruppen aus der Passionsgeschichte eine Stimme gegeben: Jünger und Jüngerinnen, Machthaber, Zuschauer, Täter und Opfer, Aktive und passiv Leidende – sie alle kommen bei der szenischen Lesung „Menschen am Kreuzweg“ zu Wort. Diese in der Ich-Form erzählten Texte – ein moderne Annäherung an das, was die Menschen damals bewegt haben könnte – kann man heuer zum ersten Mal live erleben: Am Montag, 3. April, ab 19 Uhr werden sie in der Dachauer Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt (Am Heideweg 4) mit den Stimmen von Vortragenden aus dem Pfarrverband Dachau-St. Jakob zu hören sein. Dazu bekommen sie in Foto-Porträts Gesichter heutiger Menschen.
Orgelmeditationen mit Kirchenmusiker Christian Baumgartner ergänzen die Stimmen. Der Abend führt tief in die Passionsgeschichte hinein und lässt die Zuschauer fragen: Wo wären wir gewesen? Was hätte uns bewegt? Denn das Geschehen des Kreuzwegs Jesu ist nicht nur „damals“. Kreuzweg ist „immer“, für irgendwen auf dieser Welt, für viel zu viele …
Simon Petrus: Ich bin der Fels! So hat er mich genannt: Petrus, der Fels … Felsenfest war ich von ihm überzeugt, und vor allem von mir selbst … Der treueste der Jünger! Von Anfang an bin ich dabei, seit Galiläa. Damals waren wir schon überzeugt: In Jeschua, da ist Gott stark! Von ihm ging eine Kraft aus, in ihm war ein Licht … Da musste man einfach mit! Aber jetzt komme ich nicht mehr mit. Seit Wochen spricht er von Jerusalem und vom Tod. Dennoch: Auf mich kann er sich felsenfest verlassen …, dachte ich … Und dann krähte dieser vermaledeite Hahn … Bis an mein Lebensende werde ich ihn krähen hören! Vorausgesagt hat er es. Dreimal hätte ich mich mutig für ihn hinstellen können, dreimal kam aus meinem Mund nur ein: „Ich kenne diesen Mann nicht!“ – Ein schöner Fels …
Judas: „Verräter“ nennen sie mich! Ich wollte das nicht! Ich wollte niemanden verraten, schon gar nicht ihn! Es sollte kein Verrat sein … Ich wollte einfach, dass es endlich losgeht. Dass er endlich sein Reich aufrichtet! Seit wir hier sind, steigt die Anspannung. Die Menschen haben gewartet auf ihn! Sie haben ihm zugejubelt. Er hätte jederzeit wirklich ihr König werden können. Warum wollte er das nicht? Warum zeigt er ihnen nicht seine Macht? Er ist es doch, der Messias, der neue David! Warum nur hat er sich nicht gewehrt? Warum hat er nicht Gott angerufen? Er hätte ihm doch geholfen … Ich dachte, wenn der Druck nur etwas höher wird, vielleicht schreitet er dann endlich zur Tat. Tut etwas, zeigt sich … Ich wollte das nicht! Nicht so! Oh Gott, ich wollte das nicht! Mein Leben ist verwirkt.
Maria, die Mutter Jesu: „Geh nicht hin! Bleib doch im Haus!“, hat Johannes gesagt, der liebe Junge. Er macht sich Sorgen wie die anderen auch, dass ich zusammenbrechen könnte, dass ich es nicht aushalten kann. Aber wie könnte ich nicht hingehen? Sie hängen meinen Sohn! Wie könnte ich da wegsehen? Es war ja noch nie leicht mit ihm. Diese tiefe Berufung, die ihm gegeben ist, diese Nähe zu Gott, seinem Vater, dieser Weg des Messias ... Immer schon habe ich mir Sorgen gemacht. Und jetzt ist alles so viel schlimmer gekommen, als ich es befürchtet habe. Und jetzt stehe ich hier und sehe, wie er sich hinausschleppt, wie er das Holz schleppt, an das er gebunden werden wird, um daran zu sterben … Nichts kann ich mehr tun für ihn jetzt. Aber vielleicht sieht er mich ja, spürt mich … Mein Jeschua!
Maria aus Magdala: Wir waren uns so nah. Nie hat mich jemand verstanden wie er. Bevor ich ihm begegnet bin, war ich eine Getriebene, eine Gejagte. Meine inneren Dämonen hatten mich völlig im Griff. Die Begegnung mit ihm hat mich geheilt. Mich ganz gemacht, Leib und Seele und Geist. Endlich wusste ich, wohin ich gehöre. Das kann nicht vorbei sein! Ich habe die Kraft Gottes am eigenen Leib gespürt, die von ihm ausgeht! Das kann nicht vorbei sein. Das hier kann nicht wahr sein, darf nicht wahr sein! Warum ist Gott so fern, plötzlich wieder so fern? Da geht er und sieht mich nicht, uns alle nicht. Es ist, als ob ich nicht da wäre, wieder unsichtbar, wieder verloren.
Ein römischer Soldat: Das ist wohl alles höhere Politik. Den Göttern sei Dank, dass ich sowas nicht entscheiden muss. Als sie ihn geschlagen und verhöhnt haben im Hof, da hab ich mich rausgehalten. Man muss nicht immer überall mitmachen. Derselbe Hass war in ihren Stimmen wie bei der bezahlten Meute vor den Palasttüren. Hass bringt niemanden weiter … Und jetzt hängt er da. Wehrlos ist er den Weg gegangen. Ein wahrhaft Friedfertiger. Gottes Sohn sei er, sagten seine Freunde. Mag sein, dass er es wirklich war. Wenn ja: Solche Göttersöhne bräuchte die Welt noch mehr!
(Susanne Deininger, freie Mitarbeiterin der Münchner Kirchenzeitung)