Vom Anfang bis zur Apokalypse (2)
Das fängt ja verwirrend an. Dass es zwei verschiedene Schöpfungserzählungen im ersten Buch der Bibel gibt, hatte ich parat. Sogar dass die erste in Genesis 1 etwa 500 Jahre später entstanden ist als die zweite in Genesis 2. Ich war sogar ganz stolz darauf, dass ich mich aus Studienzeiten noch erinnerte, dass Genesis 2 dem sogenannten Jahwisten zugeschrieben wird, weil er den Gottesnamen Jahwe gebraucht.
Die allerersten Zeilen der Bibel entstammen dagegen dem Textkonvolut der
Priesterschrift. Dass die im Babylonischen Exil entstanden ist, habe
ich nachschlagen müssen, ebenso dass manche Exegeten den Jahwisten
mittlerweile nicht mehr als eigenständige und unabhängige Quelle
anerkennen. Und schon bin ich in der Gefahr, dass ich mehr Kommentare zu
einzelnen Stellen lese, als die Bibel selbst, bei Einzelheiten
hängenbleibe.
Gleichzeitig bin ich über das bisschen Vorwissen und die
Kommentare froh, weil ich dann nicht an rätselhaften Einzelheiten hängen
bleibe, für die mir kluge Leute eine Erklärung geben können. Immerhin
eines kann ich mir selbst zusammenreimen: Als die jüdischen Gelehrten
den Kanon des Alten, des Ersten Testaments festlegten waren ihnen
offenbar beide Erzählungen gleich wichtig, so dass sie lieber ein
bisschen verwirren als eine davon streichen wollten.
Die Bibel ist ein Buch, das Freiheit zulässt. Mir hat sie außerdem
gleich auf den ersten Seiten einen Schauder über den Rücken gejagt. Ich
habe an die Planetarien gedacht, die ich ab und zu besuche. Meistens
sind da Filme zu sehen, die den Ursprung der Welt erklären. Ich schaue
sie immer gebannt und gleichzeitig mit großem Unbehagen an. Zuerst sind
riesige Gaswolken zu sehen, ein paar Minuten später verkrustetes
Gestein, da sind schon ein paar Jahrmillionen verstrichen, gleich darauf
Meer und dann irgendwann riesige Farnwälder, da sind schon wieder
Jahrmillionen vergangen und weit und breit ist kein Mensch zu finden. Es
scheint ihn gar nicht zu brauchen, Schöpfung gibt´s auch so.
Das
Erschrecken darüber, dass Gott, der nicht Zeit und Raum ist, Zeit und
Raum werden lässt, sitzt mir nach einem Planetariumsbesuch jedes Mal in
den Knochen. Und noch mehr, dass er irgendwann Menschen in diese
Schöpfung setzt, die mit ihrem kleinen Intellekt bloß begreifen, dass
sie Gott und sich selbst in dieser stofflichen Welt aus Zeit und Raum
nie ganz verstehen können.
Im ersten Buch der Bibel lässt er
ihnen die Freiheit, in der Komfortzone des Paradieses ohne Fragen und
Erkenntnisdrang zu bleiben, die wehtun, sehr sogar. Und doch ist der
Sündenfall ein Glücksfall, „glückliche Schuld“, wie es in der
Osterliturgie heißt. Denn aus dem Paradies machen sich die
zerbrechlichen Menschen auf den Weg - und auf viele Umwege - durch die
Geschichte, die sie zurück zum Reich Gottes führen soll. Und der ist
sogar auf diesem Weg dabei. Er spricht zu ihnen und die Bibel hält fest,
wie Frauen und Männer diesen Gott verstehen, oft genug missverstehen.
Und jetzt drängt es mich unwiderstehlich, in dieser Geschichte
weiterzulesen, völlig egal, welcher Abschnitt nun vom Jahwisten oder aus
der Priesterschrift stammt.
(Alois Bierl, Chefreporter Sankt Michaelsbund)