Den Blickwinkel ändern
Gaby Schukalla-Zeitler schockiert es immer wieder. Wenn die Lehrerin ihre fünfte Klasse fragt, was die Kinder im Leben glücklich mache, falle den meisten nichts ein. „Vor lauter Katastrophen, die auf uns einhageln, haben schon Zehnjährige vergessen, was Freude bereiten kann“, bedauert die Pädagogin. Sie unterrichtet an der Josef-Zerhoch-Mittelschule in Peißenberg das Fach „Glück“ – und ist sich sicher, dass bei diesem Thema nicht nur ihre Schülerinnen und Schüler Lernbedarf haben. Auch viele Erwachsene bräuchten da Nachhilfe.
Warum nicht den Jahreswechsel zum Anlass nehmen, sich mit dem eigenen Lebensglück zu befassen? Einen Zeitpunkt, da Menschen einander in der Regel „alles Gute und viel Glück“ wünschen. Welche Fähigkeiten habe ich? Welche Ziele konnte ich schon erreichen? Pflege ich Freundschaften?
Glücklich mache letztlich alles, was im Alltag die Lebensfreude, das Selbstbewusstsein oder die sozialen Kompetenzen fördere, sagt die Expertin. Deshalb suchen die Mittelschüler etwa für jeden Buchstaben ihres Vornamens eine positive Charaktereigenschaft oder spüren mit Hilfe eines Gummibandes, wie im Kreis der eine den anderen hält. „Es geht vor allem darum, aus der passiven Haltung des Erleidens und Lamentierens herauszukommen und sich aktiv auf die Suche nach Gutem zu begeben“, sagt die Lehrerin. Mitunter verlässt sie mit den Jugendlichen das Schulhaus, um nach Fotomotiven Ausschau zu halten. Nach einem außergewöhnlich geformten Stein etwa oder einer schönen Blume. Die Bilder werden dann in ein Glückstagebuch geklebt, das jeder Schüler individuell gestaltet.
„Wir werden die äußeren Umstände unseres Lebens nie wirklich verändern können“, betont die 60-Jährige.
„Wir
können aber unseren Blickwinkel ändern.“ Zudem besitze jeder die Macht,
sich selbst und andere mit einem Lob oder einem Lächeln aufzubauen.
Dass Letzteres glücklich macht, ist wissenschaftlich bewiesen: Sobald
die Gesichtsmuskeln nach oben gezogen werden, wird das emotionale
Zentrum des Gehirns stimuliert. Dies setzt Botenstoffe frei, die für
einen heiteren Gemütszustand sorgen, und zwar unabhängig davon, ob es
sich um ein erzwungenes oder spontanes Lachen handelt. Man sollte also
nicht nur lächeln, wenn man glücklich ist, sondern auch, um es zu
werden, so die Empfehlung. Günstige Zufälle – wie der Gewinn in der
Tombola – sind dann „nur noch das Sahnehäubchen obendrauf“, ist die
Fachfrau fürs Glück überzeugt.
Die Idee, Kinder im Unterricht zu einer optimistischen
Lebenseinstellung anzuleiten, ist nicht neu. Im Himalaya-Staat Bhutan
bemüht man sich in den Schulen schon seit Jahrzehnten, die Mädchen und
Buben zu zufriedenen und fröhlichen Persönlichkeiten auszubilden. Zudem
wird in dem buddhistischen Königreich an Stelle des
Bruttoinlandsprodukts das Bruttonationalglück als Gradmesser für den
Erfolg des Landes herangezogen. Statt das kontinuierliche
Wirtschaftswachstum zum Maß politischer und gesellschaftlicher Erfolge
zu erklären, fließen in Bhutan etwa der Schutz der Umwelt, der
Gesundheitszustand der Bevölkerung oder die Bewahrung von Traditionen
ins Bruttonationalglück ein. Eine eigens eingerichtete Glückskommission
ermittelt alle fünf Jahre mit umfangreichen Befragungen das
Wohlbefinden der Bevölkerung.
Für Schukalla-Zeitler ein
beachtlicher Ansatz. Schließlich seien die Deutschen, die trotz aller
Krisen immer noch in materiellem Überfluss lebten, kein besonders
glückliches Volk. „Viel zu besitzen, schafft meist große Verlustängste.
Dem anderen zu helfen oder sich für die Umwelt zu engagieren, lenkt
hingegen von den eigenen Sorgen ab“, sagt die Lehrerin. Dabei könnten
auch religiöse Motive eine Rolle spielen. Wer das Glück habe, an eine
höhere Macht glauben zu können, habe auf der Suche nach Lebensglück
einen Wettstreiter an der Seite und könne aus einer großen Kraftquelle
schöpfen.
Schon eine einfache Übung –„Glück to go“ genannt –
kann helfen, dem Glück täglich einen Schritt näherzukommen: Man steckt
sich jeden Morgen zehn Bohnen in die linke Hosentasche. Immer wenn im
Laufe des Tages etwas Freude bereitet – das schöne Wetter, das
Kompliment eines Kollegen, das gute Mittagessen – wird eine Bohne von
der linken in die rechte Tasche gelegt. Ziel ist es, bis zum Abend
möglichst viele Bohnen umgelagert zu haben. Wer dann vor dem
Schlafengehen seine rechte Tasche leert, kann sich beim Anblick der
Bohnen all die positiven Erlebnisse des Tages ins Gedächtnis rufen und
mit guten Gedanken einschlafen.
(Jutta Simone Thiel , freie Mitarbeiterin der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA))
Wissenswert: Das Schulfach „Glück“ in Bayern
In Bayern wurde das Schulfach „Glück“ erstmals im Schuljahr 2013/14 im Rahmen eines Pilotprojektes an ausgewählten Münchner Mittelschulen unterrichtet. Seither wächst die Zahl der Schulen, an denen es auf dem Stundenplan steht, stetig. So findet man Glück als Pflicht- oder Wahlpflichtfach, als Arbeitsgemeinschaft oder als freiwilliges Angebot an Projekttagen. Ziel ist stets, bei den Schülerinnen und Schülern die Persönlichkeitsentwicklung und sogenannte Glückskompetenzen wie Lebensfreude oder Selbstbewusstsein zu fördern und diese im Schulalltag einzuüben.
Wie bei jedem Unterrichtsfach gibt das Kultusministerium für „Glück“ einen Lehrplan vor, in dem Körper und Wahrnehmungsübungen, Selbstreflexion und der Erfahrungsaustausch in der Klasse eine wichtige Rolle spielen. Auch Hausaufgaben sind möglich und in Form von Einträgen ins verpflichtende Glückstagebuch kontrollierbar. Schlechte Noten muss aber keiner fürchten, denn die meisten Schulen bestätigen die Teilnahme am Glücksunterricht nur mit einer Bemerkung im Zeugnis. Lehrkräfte können sich durch freiwillige Weiterbildungsmaßnahmen für „Glück“ qualifizieren.