Bibel im 21. Jahrhundert (4)
„Wie lese ich die Bibel mit den Augen des 21. Jahrhunderts?“ – Dieser Frage geht die MK wöchentlich auf dieser Seite nach. Von der Arche Noah bis zum Jüngsten Gericht greift sie heiße Eisen der Heiligen Schrift auf und erläutert sie interessierten Gläubigen von heute.
Diese Woche geht es um die Frage: Dem ersten Timotheusbrief zufolge darf ein Bischof verheiratet sein. Was heißt das für die katholische Kirche?
Pfarrer Stefan Maria Huppertz ist Leiter des Pfarrverbands München West.
Der Zölibat macht Sinn. Er ahmt die Lebensweise Jesu nach, verweist auf die Hoffnung auf den immer Größeren und hält den Zölibatären verfügbar. Es sei denn, er kreist eh nur um sich …
Die Ehe macht Sinn. Sie bildet Gemeinschaft, verweist auf die Verantwortung füreinander und macht die Eheleute so offen für die Belange anderer. Es sei denn, das Paar genügt sich selbst allein. Das gilt im Guten und Schlechten für jede Art von aufrechter Partnerschaft.
Der Zölibat ist nicht besonders respekteinflößend. Er ist eine Art zu leben, die mit Verzicht und Möglichkeiten einhergeht. Die Ehe ist nicht besonders respekteinflößend. Sie ist eine Art zu leben, die mit Möglichkeiten und Verzicht einhergeht. Respekteinflößend ist jede Art von gelungenem und entschiedenem Leben, das ohne Doppelleben und ohne Doppelmoral auskommt. Das hat mit Möglichkeiten und Verzicht zu tun.
Paulus schreibt in einer Zeit, in der die Familie die gesamte Gesellschaftsstruktur abgebildet hat. Haupt-und-Glieder-Struktur der Familie entsprach der Struktur der Gesellschaft und der Weltsicht der meisten Menschen. Für freie Menschen gab es keine denkbare Alternative zu Ehe und Familie, schon allein, weil gesellschaftliches Ansehen und soziale Absicherung unabdingbar an familiäre Strukturen gebunden waren. Jedes Leben außerhalb der klassischen Familie stellte denkerisch eine Gefahr für das Weltbild dar und das Potenzial für Armut. Somit war auch der Gemeindevorsteher, der Bischof, nur so denkbar: verheiratet, als Teil einer Familie. Paulus verweist darauf, dass nur ein guter Ehemann ein guter Bischof sein kann und nur ein ordentlicher Mann ein ordentlicher Kirchenmann. Bis heute in christlichen Kirchen weit verbreitet, wobei die orthodoxe Kirche zwar durchaus verheiratete Priester kennt, für Bischöfe aber in der Regel auf zölibatäre Mönche zurückgreift.
Mit seinen Aussagen zeigt Paulus hilfreiche Kriterien für die Besetzung von Leitungsaufgaben in der Kirche auf: Wäre der, der für die Leitung eines Pfarrverbandes oder eines Bistums in Betracht gezogen wird, auch ein brauchbarer Familienvater? Bekommt er sich und seine Aufgaben geregelt? Ist er liebevoll und zugewandt? Kann er zuhören und entscheiden? Ist er aufrecht, verlässlich und belastbar? Kann er sich und Situationen einschätzen und sein Handeln reflektieren? Will er sich für andere einsetzen, ohne sich selbst aus dem Blick zu verlieren? Hat er ein Gespür für Möglichkeiten und Grenzen? Ist er treu? Und viele weitere Fragen und Ansprüche.
So kann der Brief des Paulus an Timotheus bis heute hilfreich und wichtig sein. Zur Beruhigung aller Eheleute, Priester, Bischöfe und aller anderen: Eine Versöhnung mit 80-Prozent-Lösungen schützt vor Frustration und zu früher Selbstaufgabe … Beste Segenswünsche in alle Richtungen und Lebensformen!