Bibel im 21. Jahrhundert (2)
„Wie lese ich die Bibel mit den Augen des 21. Jahrhunderts?“ – Dieser Frage geht die MK nach. Von der Arche Noah bis zum Jüngsten Gericht greift sie heiße Eisen der Heiligen Schrift auf und erläutert sie interessierten Gläubigen von heute.
Diese Woche geht es um die Frage, warum zum Bild der „Heiligen Drei Könige“ einer mit dunkler Hautfarbe gehört.
Stephan Witetschek ist Privatdozent für Neutestamentliche Exegese, Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Leiter des Projekts „Memoria Apostolorum“ an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Nein, hier soll es nicht darum gehen, ob das Wort „Mohr“ im Titel dieses Beitrags angemessen ist. Es soll auch nicht darum gehen, ob der Dunkelhäutige unter den Heiligen Drei Königen nun wirklich Melchior ist, oder vielleicht doch eher Balthasar – oder gar Kaspar? Hier soll es um die Frage gehen, warum überhaupt zum Bild der „Heiligen Drei Könige“ einer mit dunkler Hautfarbe gehört.
Im Matthäusevangelium gibt es zwar eine Erzählung über den Besuch der drei „Magier“ beim neugeborenen Jesus (Mt 2,1–12), aber wenn man von der ikonischen Vorstellung der „drei Könige“ an der Krippe ausgeht, wird man vor allem feststellen, wie viel in Mt 2,1–12 nicht steht: Von Königen ist keine Rede. Dass es drei sind, kann man nur aus den drei Geschenken erschließen, die in Mt 2,11 genannt werden: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Kein Reittier wird in der Erzählung erwähnt, und wie die drei heißen und aussehen, erfahren wir auch nicht. Nur über ihre Herkunft lässt Matthäus eine Bemerkung fallen: Die „Magier“ kommen „aus dem Osten“ (wörtlich: „vom [Sonnen-]Aufgang“, Mt 2,1).
Vom Land Israel aus wird man dabei an Mesopotamien denken, das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris (im heutigen Irak). Zu unserem Bild von den drei Königen an der Krippe passt das immer noch nicht – im Gegenteil! Wenn sie alle aus der gleichen Gegend kommen, wird man erwarten, dass sie ähnlich aussehen (etwa im abgebildeten Mosaik aus Sant’Apollinare Nuovo in Ravenna). Dass einer von ihnen eine andere Hautfarbe hat, ist da nicht selbstverständlich. Anders gewendet: Die „Magier“ treten im Matthäusevangelium als geschlossene Gruppe auf, nicht als Individuen.
Ist dann der „Mohr“ in unseren Krippen, war dann der schwarz
geschminkte Sternsinger ein unbiblischer Missbrauch? Gewiss haben
diese Darstellungen manchmal rassistische Vorurteile bedient. Gewiss
muss man manche Elemente dieser Folklore heute kritisch betrachten.
Aber ganz so einfach ist es auch wieder nicht: Wenn wir mit dem „Mohr“
in unseren Krippen kritisch (das heißt: unterscheidend) umgehen
wollen, sollten wir nachvollziehen, wie er in dieses Bild hineinkam.
Im
Matthäusevangelium gibt es ihn noch nicht, dennoch verkörpern die
„Weisen aus dem Morgenland“ hier schon eine Öffnung des Glaubens an den
Gott Israels: Die drei „Magier“ treten als Nichtjuden auf, die beim
jüdischen König Herodes ganz unbefangen nach dem „neugeborenen König
der Juden“ fragen (Mt 2,2). Dann tun sie genau das Richtige: Sie bringen
dem Messias Geschenke und verehren ihn (Mt 2,11). Mit diesen beiden Elementen, der (nichtjüdischen) Herkunft aus einem fernen Land und den kostbaren Geschenken,
spielt unsere Erzählung auf ein alttestamentliches Motiv an: die
„Völkerwallfahrt“. Es ist die hoffnungsvolle Vorstellung, dass am Ende
der Zeit alle Völker nach Jerusalem pilgern, um den Gott Israels
anzubeten.
Das heißt auch: Der Gott Israels ist Gott für alle
Menschen. In einem einschlägigen Text, Jes 60,1–22, finden wir die
Gaben von Weihrauch und Gold (wie in Mt 2,11; die Myrrhe kommt wohl aus
Hld 3,6), die mit fernen Ländern in Verbindung gebracht werden, von
Spanien („Tarschisch“) bis Südarabien („Saba“) (Jes 60,6.9; auch Ps
72,10). Christliche Ausleger haben diese Texte bald auf die „Magier“
von Mt 2,1–12 bezogen (so auch die liturgischen Lesungen des
Dreikönigstages) und fanden so Material, um diese knappe Erzählung mit
kräftigeren Farben auszugestalten. So wurden die „Magier“ mit drei
Geschenken zu „drei Königen“. Der Universalismus, der in den
alttestamentlichen Texten zum Ausdruck kommt, floss dann in die
Auslegung von Mt 2,1–12 ein. Im 7. Jahrhundert wurden die drei „Magier“
zu Vertretern der drei damals bekannten Erdteile (Afrika, Asien,
Europa). Anscheinend zog man aber erst im späten Mittelalter die
Konsequenz, einen der drei als dunkelhäutigen Afrikaner darzustellen.
Diese
künstlerischen Umsetzungen der Erzählung Mt 2,1–12 entfalten einen
wichtigen Aspekt des Textes: Die ganze Welt kommt zur Krippe, und das
Kind in der Krippe ist für alle Menschen da. Das ist keine strikte
Umsetzung des Textes, sondern ein Weiterdenken mit dem Text, das zu
einem neuen Bild führt. Man spricht hier von der Wirkungsgeschichte des
Textes. Zwar wurde mit dem „Mohr“ an der Krippe mancher rassistische
Unfug getrieben. Aber es wäre zu eng gedacht, ihn deswegen wegzulassen
und die Gesellschaft an der Krippe zu einer einheitlich weißen
Versammlung zu machen. Uns Menschen, die wir zur Krippe kommen, gibt es
eben in sehr unterschiedlichen Gestalten. Vielleicht werden die Krippen
in Zukunft noch vielfältiger...
Im antiken Mittelmeerraum war Afrika südlich der Sahara kaum bekannt; Kontakte gab es nur über den Nil, der in den heutigen Sudan führte. (Im Alten Testament heißt diese Region „Kusch“, in der griechisch-römischen Antike sprach man von „Äthiopien“.) Die dort lebenden dunkelhäutigen Menschen erschienen den Griechen und Römern als Inbegriff des Fremdartigen. Der Geograph Strabon (1. Jahrhundert vor Christus) behauptete zum Beispiel, dass sie im Mangel lebten und kein Salz verwendeten. Doch die Apostelgeschichte enthält eine Erzählung von einem gottes- fürchtigen „Äthiopier“, der auf dem Rückweg von seiner Pilgerreise nach Jerusalem getauft wird (Apg 8,26–40). Vielleicht ist auch er ein biblischer Anknüpfungspunkt für den „Mohr“ in der Krippe.