Bibel im 21. Jahrhundert (1)
„Wie lese ich die Bibel mit den Augen des 21. Jahrhunderts?“ – Dieser Frage geht die MK wöchentlich auf dieser Seite nach. Von der Arche Noah bis zum Jüngs-ten Gericht greift sie heiße Eisen der Heiligen Schrift auf und erläutert sie interessierten Gläubigen von heute. Diese Woche geht es um die Frage: Wurde Jesus wirklich in Betlehem geboren?
Benedikt Bögle ist katholischer Theologe und Jurist. Er arbeitet in München als Rechtsreferendar und freier Journalist.
Seit Langem interessiert sich die Forschung für den „historischen Jesus“: Dahinter steckt die Vorstellung, dass aus dem Neuen Testament ein bereits vom Glauben an die Auferstehung her geformtes Bild Jesu scheint. Was aber ist historisch gesichert? Gibt es zweifelsfreie Quellen zum Leben Jesu? Gerade die Weihnachtserzählung wird kritisch beäugt: Stimmt es, was die Bibel von der Geburt Jesu in Betlehem berichtet?
Schon die Evangelisten selbst scheinen sich uneins, was Weihnachten angeht. Nur Lukas und Matthäus kennen eine „Kindheitsgeschichte“ Jesu, wobei sie sich stark unterscheidet: Nach Lukas müssen Maria und Josef wegen einer Steuererhebung nach Betlehem reisen und finden dort keinen Platz in der Herberge. Engel verkünden Hirten die Geburt Jesu.
Bei Matthäus liest sich das anders: Seiner Darstellung nach scheint die Familie von Anfang an in Betlehem zu wohnen: Die Steuererhebung fehlt ebenso wie die vollen Herbergen oder die Huldigung der Hirten. Dafür kommen Weise aus dem Morgenland, die Jesus als dem „König der Juden“ Geschenke bringen. König Herodes fürchtet um seine Macht und lässt alle Erstgeborenen in Betlehem töten. Die Heilige Familie kann gerade noch nach Ägypten fliehen; Jahre später kehrt sie zurück, aus Angst aber nicht in ihre Heimat Betlehem, sondern nach Nazareth in Galiläa.
Viele dieser Details wurden historisch untersucht. So steht fest, dass es Steuererhebungen im Heiligen Land gegeben hat – wenn auch wohl erst nach der Geburt Jesu. Ganz ausgeschlossen ist es also nicht, dass Josef zu seinem Grundbesitz nach Betlehem reisen musste; einen historischen Beweis dafür gibt es aber nicht. Astronomen können eine besondere Sternenkonstellation ausmachen, die die Weisen aus dem Morgenland zur Reise nach Judäa veranlasst haben könnte. König Herodes kommt gerade beim jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus nicht sonderlich gut weg – von einem grausamen Kindermord wusste dieser aber nichts. Andererseits: Betlehem dürfte damals ein kleines Dorf gewesen sein; es werden wohl nicht viele, sondern nur einige Kinder gestorben sein. Auch das ist natürlich eine grausame Tat eines Tyrannen, erklärt aber vielleicht, warum davon Jahrzehnte später nichts mehr bekannt ist.
Wie also war es mit der Geburt Jesu Christi? Historische Belege fehlen. Jede neue Forschung kann den ein oder
anderen Aspekt der Kindheitsevangelien vielleicht erleuchten, nicht
aber beweisen, dass es genau so geschehen sein muss. Das aber
disqualifiziert die Evangelien nicht: Sie sind nicht das Werk von
Geschichtsschreibern.
In den Evangelien lassen sich die Fakten
gar nicht trennen von der theologischen Botschaft: Sie sind Deutungen
der Geschichte vor dem Hintergrund des Glaubens. So ist etwa der
Geburtsort Jesu in Betlehem kein Zufall: Schon der König David wurde
dort geboren, in dessen Tradition die Evangelisten Jesus als den neuen
König aus dem Hause Davids stellen. Matthäus und Lukas deuten auf ihre
je eigene Weise, wie Jesus „aus Nazareth“ eben nicht dort, sondern in
Betlehem geboren werden konnte.
Als Deutung des Glaubens wollen
diese Texte auch uns heute ansprechen – noch zwei Jahrtausende, nachdem
sie entstanden sind. Den Evangelisten geht es darum, zu zeigen, wer
Jesus ist: Er ist der Sohn Gottes, empfangen vom Heiligen Geist. Als
„König der Juden“ geht er aber nicht den Weg der Mächtigen; er wählt
die Machtlosigkeit. Ob er nun nach Lukas in einer Krippe geboren wird
und die sozial eher randständigen Hirten zu den ersten Adressaten der
Frohen Botschaft werden oder nach Matthäus die erste Erfahrung des
neugeborenen Jesus Flucht und Vertreibung sind – beide betonen, dass im
Zentrum der Sendung Jesu die Bedürftigen, Armen, Vertriebenen stehen.
Diese Botschaft richtet sich an die heutigen Hörer mit derselben
Dringlichkeit wie an die ersten Leser: „Heute ist euch in der Stadt
Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr.“ (Lk 2,11)
(Benedikt Bögle)
Weihnachten in der Bibel
Die Evangelisten gehen mit der Geburt Jesu unterschiedlich um. Markus behandelt sie gar nicht. Johannes berichtet zwar nicht von der Geburt; sein Evangelium beginnt aber mit einem Prolog, der nach der Herkunft und Sendung Jesu fragt. Sowohl Matthäus als auch Lukas berichten ausführlich von der Geburt Jesu: Für Lukas stammt die Familie Jesu aus Nazaret, Maria und Josef müssen wegen einer Steuererhebung nach Betlehem reisen. Dort finden sie keinen Platz in den Herbergen; der neugeborene Jesus muss in eine Futterkrippe gelegt werden und wird zuerst von Hirten besucht. Matthäus berichtet, dass Jesus in Betlehem geboren wurde: Die ersten Gäste sind die Weisen aus dem Morgenland. König Herodes fürchtet sich vor dem neugeborenen König und lässt alle Erstgeborenen in Betlehem töten. Die Heilige Familie flieht nach Ägypten. Später zieht sie nach Nazareth.