Trostorte
Wallfahren im Mai
Die Wallfahrtskapelle Birkenstein: 1663 soll der Pfarrer von Fischbachau an diesem Ort beim Beten in einen leichten Schlaf gesunken sein und einen Traum gehabt haben, in welchem ihm die Mutter Gottes erschien und die Errichtung einer Wallfahrtsstätte auftrug, mit den Worten: „Hier an diesem Orte will ich verehrt werden, und denen, die mich hier anrufen, meine Gnade mitteilen.“ 1710 wurde die kleine Kapelle in der Tradition der Loretokapellen errichtet – seitdem folgen regelmäßig Wallfahrerinnen und Wallfahrer dieser Aufforderung.
Votivtafeln zeugen von Gebetserhörungen
Fast unscheinbar steht die kleine Kapelle mit ihrer hölzernen Balustrade
und dem dunklen Vordach am Fuße des Breitensteins – eines beliebten
Wanderziels – und versteckt ihre Schätze gut. Beim Betreten des kleinen
Raumes überwältigt die Fülle an Bildnissen, Figuren und goldener Pracht
auf kleinem Raum den Besucher im ersten Augenblick. Inmitten eines Meers
von Engeln, Erzengeln, silbrigen Wolkengebilden und goldenen
Blumenranken über dem Altar strahlt die gotische Marienfigur. Die roten
Backsteinwände sind bis zum Chorgitter fast vollständig verdeckt von
eingerahmten Votivtafeln und beinlangen Kerzen, teilweise hunderte Jahre
alt, die von den Bitten an die Gottesmutter und Gebetserhörungen
erzählen. Darauf zu sehen sind Krankheit, Unheil, Krisen – eine Frau,
die von einem Balkon stürzt, Unfälle mit Pferdegespannen oder anderen
Fahrzeugen, ganz aktuell auch überstandene Corona-Erkrankungen – die
infolge einer Wallfahrt abgewendet wurden, so glauben die Spenderinnen
und Spender.
Mix aus Natur und Tradition
Wer denkt, dass diese Formen von Volksfrömmigkeit wegen der schwindenden Kirchenmitglieder nur noch eine verblassende Erinnerung an früher sind, täuscht sich: Noch heute kommen jährlich viele Tausend Menschen nach Birkenstein, erzählt der Wallfahrtsseelsorger. Ein junger Frater aus Weyarn hat seinen britischen Besuch mit zur Kapelle gebracht, will ihm die besondere Atmosphäre zeigen. „Schwer zu beschreiben – es ist eine Mischung aus Natur und Tradition. Hier ist es sehr ruhig, nicht so überlaufen“, sagt er und schaut dabei auf den Außenaltar, geschmückt mit Narzissen, an dem bei gutem Wetter die heilige Messe für die Wallfahrer gefeiert wird. Nur den angrenzenden Bach hört man rauschen, und hin und wieder die knirschenden Schritte der Wanderer, die sich auf den Weg den Berg hinauf machen. „Die Menschen kommen vorbei und setzen sich in die Kapelle“, sagt Schweiger, „hier werden Leute erreicht, die sonst nicht erreicht werden – auch wegen der Lage direkt am Wanderweg.“
Ein Kraftort
„Es ist ein Kraftort“, beschreibt Schwester Margret die Kapelle in Birkenstein. Sie ist eine der „Garser Schwestern“ (Missionsschwestern vom Heiligsten Erlöser), die erst vor Kurzem an diesen Ort gezogen sind, um sich mit Schweiger die Aufgaben zu teilen, nachdem die Armen Schulschwestern sich zurückgezogen hatten. „Man spürt, dass hier über Generationen hinweg gebetet wurde.“ Als Seelsorger seien sie gefragt wie nie, berichtet Schweiger. „Auch trotz psychologischer Behandlung wollen die Menschen mit einem Priester sprechen.“ Manche der Besucher nehmen die Beicht- oder Gesprächsgelegenheit mit Pfarrer und Schwestern ganz spontan, teils nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder an. „Hier heißt es nicht: ‚Du musst.‘ Du kannst!“ Gerade die Schwestern böten eine niedrige Hemmschwelle, ins Gespräch zu kommen – so wie etwa an dem kleinen Lädchen neben der Kapelle. An die heilende Kraft des Ortes glaubt der Seelsorger, der seit zehn Jahren in Birkenstein arbeitet, schon: „Es ist vielleicht ein Zusammenspiel“, sagt er. Einmal spendete er einer Frau die Krankensalbung für ihr ungeborenes Kind, das mit einem offenen Rücken zur Welt kommen würde. Später wurde das Kind noch im Mutterleib von einem Spezialisten operiert – es kam gesund zur Welt.
Wohnzimmeratmosphäre in Maria Birnbaum
Ganz anders als die kleine Kapelle „mit Wohnzimmerfeeling“, wie es Schweiger scherzhaft beschreibt, zeigt sich die Wallfahrtskirche Maria Birnbaum in Sielenbach im äußersten Nordwesten des Erzbistums, die 1668 geweiht und kurzerhand um einen Birnbaum herumgebaut wurde. Auch hier kommen Wallfahrende hin, um die Mutter Gottes anzubeten. Der Kirchenraum wirkt im Vergleich zu der üppig geschmückten Kapelle in Birkenstein fast schlicht – obwohl die Wände mit aufwendigen Verzierungen bemalt sind und die Engel mit geschnitzten Gesichtern versehen wurden. Trotzdem gibt es auch in Maria Birnbaum die klassischen Wallfahrtsgruppen, die jedes Jahr kommen, und manche Traditionen, wie die Messe an den Faschingstagen, die seit 180 Jahren stattfindet, werden weiterhin gepflegt. Generell verändern sich die Besucher jedoch. Unter anderem wegen der bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in der Kirche sind viele weg. „Die Menschen haben schon noch den Glauben, dass da etwas Unerklärliches ist – sie sind aber nicht mehr an einer Kirchengemeinschaft interessiert“, sagt Pater Norbert.
Ort der Ruhe
Sie bleiben in Maria Birnbaum auch gerne mal anonym – hinterlassen ohne Zeugen Votivgaben, legen die Beichte, wie auch in Birkenstein, lieber bei einem fremden Pfarrer ab. Die Vorstellung von einem Kraftort, wie es Schwester Margret beschrieben hat, scheint auch hier zuzutreffen. Der Pater beobachtet manche Besucher, die sich einfach nur in Ruhe in die Kirche setzen. „Wir spüren, dass an diesem Ort etwas anders ist – deshalb verhalten wir uns hier auch anders“, erklärt der Pater und verdeutlicht den Unterschied, indem er erst die langen, schnellen Schritte durch eine Fußgängerzone nachahmt und dann das ehrfürchtige Betreten einer Kirche.
Wallfahrt mit Zukunft
Dann erinnert sich Pater Norbert noch an einen kleinen Jungen, der auf dem Altar einen Dank an die Gottesmutter hinterließ. Drei Jahre hatte das Kind bereits im Krankenhaus verbracht und bedankte sich, dass es die Klinik nun verlassen konnte. Ein Schicksal, das den Pater zu Tränen rührte. Ein Ende der Wallfahrtstradition sieht der Pater deshalb noch nicht – im Gegenteil. „Der Anstrich im Innenraum müsste mal wieder neu gemacht werden – darauf müssen wir aber erst sparen.“
(Michelle Mink, Volontärin Sankt Michaelsbund)
(Michelle Mink, Volontärin Sankt Michaelsbund)