Spirituelle Freiräume

Joachim Burghardt, Redakteur der Münchner Kirchenzeitung
Als dreifacher Vater fällt es mir im Alltag zugegebenermaßen nicht leicht, Freiräume zu finden, um meinen Glauben bewusst zu praktizieren. Man „hängt einfach voll drin“ in allerlei Anforderungen und Themen, die einem bis in den Schlaf hinein keine Ruhe lassen. Und wenn man von Montagfrüh bis Samstagabend schon die ganze Zeit mit Arbeit, Terminen, Bürokram, Erledigungen und Fahrdiensten beschäftigt war, ist es am Sonntagvormittag natürlich verlockend, einfach nur faul herumzuhängen, anstatt einen weiteren Termin – den Sonntagsgottesdienst – wahrzunehmen. Ich habe hier immerhin etwas Abhilfe geschaffen, indem ich ein kirchliches Ehrenamt ausübe: In meiner Pfarrei singe ich alle paar Wochen sonntags sowie an bestimmten Feiertagen als Kantor. Das stellt sicher, dass ich einigermaßen regelmäßig am Gottesdienst teilnehme und sogar aktiv mitwirke. Auch wenn das streng genommen ein weiterer Termin, eine weitere Verpflichtung ist, tut es letztendlich jedes Mal gut, und hinterher bin ich immer froh, gesungen und gebetet anstatt gefaulenzt zu haben. Aber je länger ich über die „Freiräume für die Glaubenspraxis“ nachdenke, umso mehr beschleicht mich der Verdacht, dass die Frage womöglich in die Irre führt. Brauche ich überhaupt „Freiräume“ für meine Glaubenspraxis? Was erwarte ich mir da eigentlich? Wenn ich’s recht bedenke, ist es doch so, dass ich ein intensives, reiches Familienleben habe, mich auch sonst ganz generell gesegnet und beschenkt fühle, und sogar beruflich befasse ich mich als MK-Redakteur ständig mit Gott und der Welt. So gesehen hat ein Großteil meines Lebens mit dem Glauben zu tun, theoretisch oder praktisch. Ich könnte also ganz zufrieden sein und einfach anerkennen: Ich habe schlicht keine Zeit für große Exerzitien, ich werde gebraucht, ich kann mich nicht lange zurückziehen – aber dafür ist auf die eine oder andere Weise irgendwie mein ganzer Tag von Glaube und Spiritualität durchdrungen. Und wenn ich abends, schon schwindlig vor Müdigkeit, meinem kleinen Sohn noch etwas über Jesus erzählen kann, dann spüre ich: Es ist gut, dass ich hier und jetzt genau das tue, was ich tue, und nicht gerade allein irgendwo auf ungestörter „Glaubenspflege“ bin – auch wenn der Gedanke an eine solche Auszeit freilich oft verlockend ist …

Christine Schmehrer, Bereichsleiterin Corporate Communications beim Sankt Michaelsbund
Wie wichtig ist für Dich #metime? Für mich ist sie sehr wichtig. Dinge, die rar sind, sind oft besonders wertvoll. Als Working Mum bleibt wenig Zeit zum Ausleben meiner eigenen Spiritualität und Glaubenspraxis. Ich nehme mir jeden Tag fünf Minuten zum Meditieren. Diese Miniauszeit zum Besinnen und Runterkommen ist fester Bestandteil meines Tages geworden. Und da es nur fünf Minuten sind, gibt es keine Ausreden, fünf Minuten gehen wirklich (fast) immer. Fünf Minuten am Tag, 35 Minuten in der Woche oder 1.825 Minuten im Jahr reichen natürlich nicht aus, um zufrieden oder erfüllt zu sein. Im letzten Jahr war ich mit meiner Freundin, der Patentante meines Sohns, im Advent für drei Tage im Kloster Plankstetten. Dort haben wir einen Kurs besucht, bei dem Texte und spirituelle Gedanken rund um das Weihnachtsfest uns zu selbstgestalteten Karten im Handlettering-Stil inspiriert haben. Diese drei Tage waren eine wunderbare (Aus-)Zeit, aber auch eine Ausnahme. Da weder fünf Minuten noch Ausnahmen mir genug sind, habe ich, seit ich meine beiden Jungs habe, versucht umzudenken – und suche nach Momenten, die ich als Mama und wir als Familie zum Innehalten genießen. Das können die neugierigen Fragen meiner Kinder sein, wie zuletzt „Mama, wenn jemand tot ist, fühlt er sich dann noch?“ oder ein besonders schönes Erlebnis, wie in diesem Jahr mit meinen Kindern – so wie ich es selbst als Kind jedes Jahr erlebt habe – Ostern in Spanien zu feiern. Mit den geschmückten Straßen, den vielen Kindern in der Prozession, den bunt bemalten Tauben die zu einem herrlichen Halleluja in den Himmel geflogen sind. Zu #metime kommt #wetime, meine neue Lieblingskombination.

Paul Hasel, Radio-Redakteur beim Sankt Michaelsbund
Meine Frau und ich haben von Anfang an die Erfahrung gemacht, dass wir unser Glaubensleben jede Woche neu organisieren müssen. Das ist bis heute so geblieben. Und es hat mit wenigen Ausnahmen die letzten 20 Jahre auch gut funktioniert. Am einfachsten war und ist es, unsere gemeinsamen Unternehmungen zu koordinieren. Dabei hatten wir viele Jahre das große Glück, dass meine Schwiegereltern es uns ermöglicht hatten, dass wir abends gemeinsam zu Vorträgen oder speziellen Gottesdiensten gehen konnten, weil sie auf die Kinder aufgepasst haben. Außerdem konnten wir uns immer auf Babysitterinnen aus der Pfarrei verlassen, die eingesprungen sind, wenn meine Schwiegereltern nicht konnten. Heute passen unsere älteren Kinder auf die jüngeren auf, manchmal sogar ein ganzes Wochenende. Das nutzen wir dann, um gemeinsam auf mehrtägige religiöse Veranstaltungen zu fahren. Weitaus schwieriger gestalteten sich die Aktivitäten, die wir unabhängig voneinander unternehmen. Meine Frau würde gerne in der Früh etwas Zeit fürs Gebet haben, ich aber möchte nicht noch früher aufstehen, um mich um die Kleinen zu kümmern, als ich es sowieso schon muss. Meine persönliche Gebetszeit liegt ein Mal in der Woche am späten Abend, seitdem ich mich entschlossen habe, bei einem Anbetungs-Projekt mitzumachen. Dann muss meine Frau das Zubettgehen der Kinder und die Vorbereitungen auf den kommenden Schultag allein managen. Das bereitet mir manchmal ein schlechtes Gewissen, insbesondere wenn meine Frau einen stressigen Tag im Beruf hatte. Da wir uns aber diese Freiräume gegenseitig ermöglichen wollen, schauen wir gemeinsam, dass wir es irgendwie hinbekommen. Das geht nicht ohne Konflikte ab, die immer wieder neu ausgefochten werden müssen, meistens mit einer guten Lösung für uns beide.