Melanie Wolfers - Die Kunst, mutig zu sein (7/7)
Ich habe in meinem Leben schon oft erfahren, dass Gott mir zur Seite steht. Und ich glaube doch eigentlich, dass er auch mein Fallen ‚unendlich sanft in seinen Händen hält‘, wie Rainer Maria Rilke es ausdrückt. Dennoch schwappt immer wieder Panik in mir hoch, wenn ich an die schwere Operation denke, die auf mich zukommt. Selbst beim Beten.“ Von sich selbst spürbar enttäuscht erzählt eine etwa 50-Jährige von ihren Nöten. Zu ihrer Angst vor der anstehenden Operation kommt die Enttäuschung hinzu, dass sie von sich erwartet, keine oder doch zumindest weniger Angst zu haben – denn schließlich glaube sie doch an Gott.
Ein weit verbreitetes Missverständnis! Viele sehen Angst als ein Hindernis auf ihrem Weg zu Gott. Sie meinen, ihre Angst sei ein Zeichen dafür, dass sie zu wenig glauben und vertrauen. Es enttäuscht und verunsichert sie, dass selbst das Gebet ihre Furcht nicht auflöst, und sie fragen sich: „Was mache ich bloß falsch beim Beten?“
Die Bibel spricht da eine ganz andere Sprache: Die Psalmen, das
wichtigste biblische Gebetbuch, sind gewoben aus Klagerufen und
angstvollem Schreien zu Gott – wie auch aus Jubelliedern und dankbarem
Vertrauen. Glaube und Angst schließen einander nicht aus! Auch Jesus
hat dieses erfahren. Als er ahnt, dass ihm ein gewaltsames Ende droht,
packt ihn die Angst. Er schreit zu Gott. Er nimmt seine Angst ins Gebet,
lässt sie zu, spricht sie aus. Durch all das wird Jesus nicht von
seiner Angst befreit. Wohl aber, so erzählt das Lukas-Evangelium, wird
er fähig, mit und trotz seiner Angst seinen Weg weiterzugehen (vgl.
Lukas 22,39–46). Er bleibt sich und seinem Gott treu.
Mut ist
Angst, die gebetet hat, formuliert Corrie ten Boom, eine
niederländische Widerstandskämpferin im Dritten Reich. Viele Menschen
erfahren ihren christlichen Glauben als einen Resonanzraum, in dem ihre
Angst zur Sprache kommen kann. Die Angst vor einer Operation, einem
Examen, dem Sterben des Partners, dem Verlust des Arbeitsplatzes. Aber
auch die Furcht vor Krieg und Terror, vor Hass und Gewalt. Und manchmal
stellt sich im Gebet das leise Ahnen ein, dass ich mit meiner Angst
nicht allein bin. Als ob in der Tiefe des eigenen Herzens ein Licht
schimmern würde. Als ob ich von innen her liebend
angeschaut würde. Das weckt Vertrauen und Mut.
Eine
vielsagende Redewendung: Vertrauen wecken. Sie deutet an, dass es unter
aller Angst und Verzweiflung ein tragendes Vertrauen gibt. Oft
schlummert es oder wird verdeckt von negativen Erfahrungen. Aber es kann
geweckt werden. Da ist es einer Person klamm ums Herz – und eine
Begegnung, ein Sonnenstrahl an grauen Tagen oder ein Bibelwort rufen
unverhofft Vertrauen in ihr wach. Und sie spürt neue Zuversicht.