Endstation Glück
So unterschiedlich wir Menschen in unseren konkreten Bestrebungen und Vorlieben auch sind, so eint uns doch das grundsätzliche Streben nach dem Glück: Jeder will es und viele suchen sogar ganz bewusst danach! Aber lässt sich überhaupt allgemein beschreiben, was uns wirklich glücklich macht?
Das Glück scheint zunächst höchst individuell und für jeden etwas anderes zu sein. Zumindest erhält man ganz unterschiedliche Antworten auf die Frage: „Was macht dich eigentlich glücklich?“ Meist werden dann konkrete Glücksmomente beschrieben: eine Radtour am Sommerabend durch die Natur, das Lieblingsmusikstück in einem Konzert erleben, tiefe Gespräche mit den Kindern, eine ganze Nacht hindurch tanzen, Zeit für ein Puzzle an einem kalten Tag. Während für die einen gerade Ruhe und Entspannung wichtige Faktoren für ein glückliches Wohlbefinden sind, sehnen sich andere nach Bewegung und Lebendigkeit.
Wird unter Glück eine solch momentane, angenehme Gemütsverfassung
verstanden, reicht die Palette der Zutaten von leise bis laut, von
schnell bis langsam und von allein bis gemeinsam. So verschieden unsere
Erfahrungen, Wünsche und körperlichen Konstitutionen sind, so sind es
auch die Momente, die uns glücklich machen können. Insofern lässt sich
wohl nicht der eine, für uns alle und immer gültige Weg zum Glück
formulieren: Denn was den einen vor Freude zum Springen bringt, sorgt
bei dem nächsten vielleicht für absolute Überforderung.
Im Deutschen bezeichnen wir mit dem Glück nicht nur diese angenehme
Gemütsverfassung – das Glücklichsein –, sondern auch den günstigen
Zufall – das Glückhaben. Dementsprechend erhält man Antworten wie
unerwartete Hilfe zu bekommen, das Gefühl, wenn etwas funktioniert,
oder auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Beispiele dafür
geben uns Situationen, in denen wir so etwas sagen würden wie: „Puh, da
habe ich aber noch mal Glück gehabt!“ Etwa, wenn in Eile der letzte
verfügbare Parkplatz in der Nähe ergattert wird. Oder wenn sich ein
vermeintlich ernster medizinischer Befund im Nachhinein als falsche
Diagnose erweist. Zwar freuen wir uns dann berechtigterweise darüber,
keine Pechvögel zu sein, und können uns dafür auch wirklich glücklich
schätzen, aber diese Art Glück bewusst zu suchen oder sich darum zu
bemühen, macht wenig Sinn. Anders als die beschriebenen Glücksmomente,
für deren Erreichen wir zumindest mitverantwortlich sind, liegt es
schlicht nicht in unserer Hand und wir haben keinerlei Einfluss darauf.
Dass wir uns dessen historisch schon lange bewusst sind,
veranschaulichen beispielsweise die Darstellungen der Schicksals- oder
Glücksgöttin Fortuna aus der römischen Mythologie. Oft wird sie in
Verbindung mit einem Rad gezeigt, das sie dreht und lenkt. Einem
Glücksrad, welches unterschiedliche Lebensumstände für uns bereit hält:
gutes oder schlechtes Schicksal, Aufstieg oder Fall, Mangel oder
Reichtum. Nicht wir, sondern Fortuna entscheidet über diese Umstände.
Sollten wir daran also unser Glück festmachen?
Uns gänzlich
unabhängig von äußeren Umständen zu machen, erscheint als schwierig bis
unmöglich. Es ist nicht zu leugnen, dass unserem menschlichen Wollen,
Planen und Können Grenzen gesetzt sind und somit auch unserer
Glückssuche. Sie zeigen sich deutlich an Schicksalsschlägen im
persönlichen Umfeld, wie Kündigung oder Krankheit, oder im
gesellschaftlichen Kontext durch Krisen oder Kriege. All das kann uns
unglücklich, ja sogar tief traurig machen. Diese ungewollten Grenzen
können uns Verzweiflung und Ohnmacht spüren lassen. Anders als ein
bloßer Spielball des Schicksals können wir jedoch innerhalb der
gesetzten Grenzen unsere Richtung selbst bestimmen.
Aber eine aktuelle Langzeitstudie der Harvard Universität belegt,
dass insbesondere die Qualität unserer Beziehungen dafür ausschlaggebend
ist, ob wir glücklich sind. Das scheint naheliegend, denn wenn wir ein
dauerhaftes Glück in einem gelingenden Leben suchen, gilt es, auch
schmerzhafte, schwierige Phasen darin integrieren zu können. Vielleicht
ist es deswegen sinnvoll, gerade das, was uns im Umgang mit ihnen
helfen kann, was uns angesichts von Gefühlen der Ohnmacht Mut und
Hoffnung schenken kann, als Wege zum Glück zu bezeichnen: Geborgenheit,
vertraute Nähe, Freundschaft, Liebe und Glaube. Hat man solche Quellen
für sich entdeckt, die einem auch in stürmischen Lebenszeiten
Orientierung und Stabilität ermöglichen, bereiten sie den Weg zu einem
Glück, das nichts mit Zufall zu tun hat und gleichsam über zeitlich
begrenzte Momente hinausragt.
(Dr. Sandra Eleonore Johst, Philosophin und Psychologische Beraterin)