Wer oder was ist die Ruach?
Wir Christen denken bei der Rede vom Heiligen Geist vor allem an drei biblische Erzählungen: die Verkündigung an Maria, die „vom Geist Gottes überschattet“ wird und den Erlöser zur Welt bringt; die Taufe Jesu, bei der Jesus den Geist Gottes wie eine Taube liebevoll auf sich herabkommen sieht; und die Pfingstgeschichte, in der der Geist sich als Sturm und Feuer zeigt und die Jünger aufrüttelt, neu entzündet und begeistert hinausschickt, um nun selbst das Evangelium zu verkünden. Er ist der „Beistand“, den Jesus ihnen vor seiner Himmelfahrt versprochen hatte. Weil besonders die Pfingstgeschichte so bildstark für den Neubeginn der Kirche steht, blenden wir manchmal aus, dass der Heilige Geist keine Idee des Neuen Testaments ist, sondern eine theologische Grundaussage, die so alt ist wie das Judentum selbst.
Die Vorstellung vom Geist Gottes ist eine, mit der Jesus, Maria, die Jünger und Jüngerinnen bereits aufgewachsen sind und die sie aus ihrer Heiligen Schrift gut kennen. Es ist die Überzeugung, dass Gott, Jahwe, nicht einer ist, der nur über und außerhalb dieser Welt ist, sondern dass etwas von ihm diese Welt durchdringt, in ihr ist und in ihr wirkt. Dieses „In-der-Welt-Sein“ Gottes ist aber nicht leicht wahrzunehmen und zu verstehen. Und so ringt das Alte Testament immer wieder neu darum, für diese geheimnisvolle Gegenwart Worte zu finden, die ein wenig erahnen lassen, was wir mit menschlichen Begriffen nur schwer fassen können.
Das Wort, das die hebräische Sprache im Alten Testament dafür
benutzt, ist „Ruach“, ein Wort, das es so ähnlich in vielen
altorientalischen Sprachen gibt. Es bezeichnet zunächst in irgendeiner
Weise bewegte Luft, also Wind, Windhauch, Wehen, aber auch den Atem. Es
ist lautmalerisch: Wenn man es mit einem weichen ch am Ende ausspricht,
klingt es wie eine vorbeiwehende Windböe. Und so ist das hebräische
Wort für den Geist Gottes selbst ein Sprachbild für das, was eben nicht
zu fassen, nicht festzuhalten ist: Wie der Wind, die bewegte Luft
überall ist, aber nicht festzuhalten, ist auch Gottes Gegenwart; wie
Luft lebensnotwendig ist und jeder Atemzug neu das Leben schenkt, ist
Gottes lebensspendende Kraft in der Welt; wie der Wind oft unberechenbar
ist, ist es auch das Handeln und Wirken Gottes in der Welt … Ein
wunderbares Wort für etwas, das nicht zu fassen und doch so unmittelbar
da ist!
Interessant dabei ist: Ruach ist weiblich! Das bedeutet: Wenn im Alten Testament 378 Mal von Ruach die Rede ist, hörten die Menschen im Originaltext neben dem väterlich-männlichen Gottesbild auffällig oft auch eine weibliche Seite Gottes mit: die Ruach. Exegetisch ist mittlerweile gut aufgezeigt, dass das Gottesbild des Alten Testaments lange nicht so einseitig männlich geprägt war, wie wir es oft empfinden. Sprache prägt nun mal unsere inneren Vorstellungen. Und wenn Ruach sprachlich männlich als „der Geist Gottes“ übersetzt wird und wir im Deutschen Jahwe als „den Herrn“ lesen, geht uns leider dieses hörbar weibliche Element in der Beschreibung unseres Gottes verloren und die männliche Seite Gottes wird überbetont. Das alttestamentliche Judentum hatte aber bereits ein gutes Gespür dafür, dass Gott mit unseren Geschlechtervorstellungen nicht zu fassen ist. Und so gibt es eben auch weibliche Beschreibungen des Unbeschreiblichen, zum Beispiel die „Geistin Gottes“, die Ruach.
Es ist die Ruach, die im Schöpfungslied über der Urflut schwebt. Es
ist die Ruach, die im Psalm 104 von Gott ausgesandt wird, um alles zu
erschaffen und zu erneuern (Ps 104,30). Die Ruach ist also Schöpferkraft
Gottes. Aber auch in den Worten der Propheten ist es die Ruach, die
wirkt: In Ezechiel 2,2 lesen wir zum Beispiel: „Da kam die Ruach in
mich, als er zu mir redete, und stellte mich auf meine Füße. Und ich
hörte den, der mit mir redete.“ Die Ruach lässt also richtig hören und
verstehen und schenkt Standfestigkeit.
Aber die Ruach ist
nicht festgelegt auf privilegierte Personen. Sie wirkt überall und in
allen: Bei Joel lesen wir das, was dann Petrus in seiner Pfingstrede
zitieren wird: „Ich werde meine Ruach ausgießen über alles Fleisch. Eure
Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure Alten werden Träume haben
und eure jungen Männer haben Visionen.“ (Joel 3,1)
In der
Übersetzung ins Altgriechische wird aus der Ruach dann „Pneuma“. Eine
gute Wahl. Denn dieses Wort beschreibt ein mit der Atemluft aufnehmbares
Lebensprinzip, das neben Luft auch die Vorstellung von Feuer und
Lebenskraft miteinschließt.
Zur Beschreibung der wirksamen
Gegenwart Gottes in der Welt reicht aber nicht ein Wort als Zugang. Es
gibt deshalb noch weitere, die dieses göttliche Geheimnis zu beschreiben
versuchen, zum Beispiel das hebräische „Nefesch“, das so viel meint
wie Vitalität, sprudelnde Lebensenergie, Leidenschaftlichkeit. Oder auch
das griechische Schwesterwort aus den späteren Schriften, das noch
einmal anders die Brücke zum hellenistisch-philosophischen Denken
schlägt: Sophia, die Weisheit Gottes.
Interessant ist, dass
es auch in anderen Kulturen und Religionen ganz ähnliche Vorstellungen
gibt, die Atem, Fluss, Kraft oder auch Seele und die Gegenwart Gottes
beziehungsweise des Göttlichen in der Welt in Verbindung setzen: das
chinesische Chi oder das indische Prana oder Akasha, das Dao im Daoismus
und so weiter. Der Geist Gottes, die Ruach, wirkt eben überall. Das
könnte Verständigung über die Grenzen hinweg ermöglichen, ganz wie
damals am ersten Pfingstfest.
(Susanne Deininger, Pastoralreferentin im Pfarrverband Dachau-St. Jakob und theologische Mitarbeiterin im Dachauer Forum)