Dem Ziel des Lebens näherkommen
Auf dem Franziskusweg von Florenz nach Rom
Er ist so etwas wie der kleine Bruder des spanischen Jakobsweges und unter Pilgern längst kein Geheimtipp mehr: der Franziskusweg durch Mittelitalien. Niklaus Kuster kennt den Pilgerweg in- und auswendig und verrät, wieso ihn auch nichtreligiöse Menschen gehen können.
Wenn Bruder Niklaus Kuster von seinen Pilgererfahrungen auf dem Franziskusweg erzählt, möchte man am liebsten gleich selbst den Rucksack packen, die Wanderschuhe schnüren und sich nach Italien aufmachen. Der Kapuziner aus dem Kloster Rapperswil in der Schweiz kennt den Pilgerweg wie seine Westentasche. Nirgendwo könne man den Heiligen Franz von Assisi und seine Botschaft so gut kennenlernen wie auf dem Franziskusweg, schwärmt Bruder Niklaus. Zumal die Pilgerstrecke im Vergleich zum Jakobsweg nicht so überlaufen sei, hier könne man leichter zu sich kommen, betont der Experte für franziskanische Spiritualität. Und nirgendwo leuchteten die „mille stelle“, die tausend Sterne, so hell wie auf dem Franziskusweg, wenn man sich dazu entscheide, mit dem Schlafsack im Freien zu übernachten. Es war der Franziskusweg, der Bruder Niklaus vor rund 30 Jahren in der Berufung bestärkt hat, Franziskus nachzufolgen. In seiner Studentenzeit in Rom lernt er den Weg lieben und schätzen, auf zahlreichen Pilgerwanderungen sei sein Entschluss gereift, sich dem franziskanischen Reformorden der Kapuziner anzuschließen.
Franziskusweg wird erlebbar gemacht
„Den Wegen einer Person nachzugehen, ist immer auch die Chance, den Begegnungen, die diese Person gehabt hat, nachzuspüren, die Überlieferungen, die Quellen vor Ort zu lesen, und da eröffnen sich dann tiefere Zugänge." Auf diese Methodik setzt auch das Buch „Pilgern im Zeichen des Tau“. Anhand von zwölf Stationen auf dem Franziskusweg durch Mittelitalien spürt das Pilgerbuch dem Geist des heiligen Franz von Assisi nach. Die Erzählungen, Aquarelle und Zeichnungen von Claudia Brunke-Gregory, die den Weg mit ihrem Mann gegangen ist, machen die einzelnen Stationen erlebbar. Die evangelische Pfarrerin Renate Sturm-Wutzkowsky bereichert die Wegstationen mit meditativen Impulsen. Bruder Niklaus liefert schließlich franziskanisches Hintergrundwissen zu den Pilgerorten auf dem Weg von Florenz über Assisi nach Rom. Die Kombination aus Erzählungen, Bilder und Impulsen auf etwas mehr als 100 Seiten macht aus dem Werk keinen rein religiösen Pilgerführer. Vielmehr sei es, so Bruder Niklaus, als „Appetitanreger“ gedacht. Es „ist sehr persönlich und realistisch geschrieben“ und diene als gute Einführung, gerade für ältere Menschen, die Zeit und Lust haben, die rund 500 Kilometer Wegstrecke zurückzulegen.
Dem Geheimnis des Lebens ein Stück näherkommen
Wer nicht die gesamte Strecke gehen will, dem rät Bruder Niklaus, die Pilgerorte einzeln anzusteuern. Wie zum Beispiel Camaldoli im Nordosten von Florenz, die zweite Station im Buch. „Das ist ein tausendjähriges Eremitendorf der Kamaldulenser. Da gehe ich selber hin, um in einem Eremitenhäuschen zu leben, wenn ich für mich Stille suche." Oder Assisi auf der Hälfte der Wegstrecke, ein Ort, der besonders inspirierend sei, gerade weil sich hier die Weltreligionen zu Friedensgebeten versammelten und Papst Franziskus die Enzyklika „Fratelli Tutti“ unterschrieben habe. „Ich habe den Eindruck, dass ich diese Geschwisterlichkeit ohne Grenzen nirgendwo so intensiv erlebe wie in Assisi." Bei beiden Orten biete es sich an, intensiver zu verweilen, nicht nur für eine Nacht, sondern auch längere Zeit, „eine ganze Woche“. Seine Erfahrung als Pilgerführer sei, dass diese beiden Orte sich auch gut als Einstiege für nicht-religiöse Menschen eigneten, die sich auf den Franziskusweg einlassen wollen. „Dass wir in dieser Welt Pilgernde sind, ist eine existentielle Erfahrung, der meiner Meinung nach alle Menschen nachspüren wollen."Auf dem Weg finde jeder an den einzelnen Orten Angebote und gelebte Antworten auf die Frage: „Was ist das Ziel unseres Lebens?“ Jeder Mensch könne „in die Tiefe gehen und dem Geheimnis des Lebens näher kommen“. Sogar im Winter bei Sturm und Schnee hat Bruder Niklaus auf dem Franziskusweg diese Beobachtung bei sich und Pilger-Weggefährten gemacht.