Über den Lebensweg nachdenken
MK: Eine eigene Kurseelsorge gibt es in der Erzdiözese nicht mehr. Wie kam es dazu?
FÖRG: Die Verantwortlichen haben in einem längeren Prozess überlegt, wie Seelsorge in unserer Zeit ausschauen könnte. Dabei war zu berücksichtigen, dass bis zum Jahr 2030 rund 30 Prozent weniger Seel- sorger zur Verfügung stehen werden. Zugleich ist klar: Nur durch die Qualität ihrer Seelsorge kann die Kirche noch überzeugen. Glaubwürdige Seelsorge zeichnet sich dadurch aus, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Deshalb wurden Schwerpunkte in unserer Diözese neu gesetzt, unter anderem auf sogenannte Themenfelder: Jugendpastoral, Seniorenpastoral, Krankenpastoral und weil wir eine Urlaubsregion sind, ist auch die Tourismusseelsorge ein Schwerpunkt. Die Neuausrichtung führt zu einer stärkeren Vernetzung der Seelsorge in einem Sozialraum – zu den Wirklichkeiten und Bedürfnissen aller Menschen, die an einem Ort leben. Daraus folgt, dass es die Kurseelsorge als eine eigene Stelle nicht mehr gibt, aber dass sich weiterhin Seelsorger aus verschiedenen Bereichen um die Menschen in der besonderen Situation einer Kur bemühen. Als Seelsorger in der Krankenpastoral habe ich eine besondere Sensibilität für Menschen, die hier sind, um eine Krankheit zu bewältigen. Zusammen mit den Seelsorgern aus der Pfarrgemeinde, aus der Tourismuspastoral und je nach Situation vor Ort auch aus der Senioren und Jugendpastoral und in ökumenischer Zusammenarbeit entsteht ein gemeinsames Angebot für Kurgäste.
MK: Sie selbst sind langjähriger Klinikseelsorger. Wo sind Sie überall im Einsatz und was fällt alles in Ihren Aufgabenbereich?
FÖRG:
Als Klinikseelsorger begleite und besuche ich Patienten und ihre
Angehörigen im Krankenhaus und wenn sie es wünschen, auch zu Hause. Seit
April 2021 bin ich Leiter der Krankenpastoral im Landkreis Traunstein
und somit nicht nur in der Klinik für die Kranken da, sondern nehme auch
weitere Einrichtungen für Kranke in den Blick. So gibt es bei uns im
Landkreis weitere Kliniken in Trostberg, in Fridolfing und in
Ruhpolding und auch Rehaeinrichtungen wie die Chiemgauklinik in
Marquartstein oder das Haus Regenbogen für psychisch Kranke in
Ruhpolding. Es gibt viele Gruppen, etwa das Netzwerk Hospiz oder die
Kreuzbundgruppen für Menschen mit Suchtproblemen. Hier kann ich nicht
überall gleich intensiv da sein, oftmals kann ich nur lockeren Kontakt
anbieten und Netzwerke entwickeln. Ich setze zusammen mit anderen
Seelsorgern Schwerpunkte und entdecke auch blinde Flecken, wo
kirchliches Engagement fehlt. Zusammen mit der Kollegin aus der
Seniorenpastoral und dem katholischen Kreisbildungswerk biete ich auch
Kurse zur Qualifizierung von ehrenamtlichen Seelsorgern für
Besuchsdienste in verschiedensten Einrichtungen und auch bei Kranken in
der Pfarrgemeinde an.
MK: In vielen Köpfen gibt es noch
immer romantische Vorstellungen vom unterbeschäftigten Kurgast, der
Ablenkung und Zerstreuung sucht und dem die Kurseelsorge durch religiöse
Vorträge oder ähnliche Angebote Abwechslung liefert. Haben die
Patienten heute überhaupt noch gesteigertes Interesse an religiösen und
spirituellen Angeboten?
FÖRG: Den unterbeschäftigen
Kurgast, wie er etwa bei Thomas Mann in seinem Roman „Der Zauberberg“
geschildert wird, hat es wohl eher selten gegeben. Aber gerade in diesem
Roman wird auch deutlich, wie sehr ein Mensch in dieser Situation auf
sich selbst zurückgeworfen ist und nach Gesprächspartnern sucht. Die
Kurgäste heute sind Patientinnen und Patienten – Menschen mit einer
chronischen Krankheit, in der Rehabilitation, in
Anschlussheilbehandlungen oder bei präventiven Maßnahmen wie
Mutter-Kind-Kuren. Gemeinsam ist ihnen das Erleben in einem meist
wohnortfernen Kurort. Sie sind in einer besonderen Situation, die oft
zum Nachdenken über sich selbst, den bisherigen Lebensweg, die
familiären und sozialen Lebensbedingungen und die persönlichen
Verhaltensweisen führt. Das sind spirituelle Fragen. Seelsorge soll
diesen Fragen Raum und Ausdruck geben, sie zulassen, ohne gleich
Antworten parat zu haben. In diesem Fragen will ich Antworten suchen
helfen, durch Gespräche, in Gesten, in Symbol- und Segenshandlungen,
mit der Bibel, in Gottesdiensten.
MK: Was wollen Sie mit Ihrer Arbeit den Menschen in den Kliniken und Reha-Zentren vor allem vermitteln?
FÖRG: Mit
meinen Kolleginnen und Kollegen bin ich von unserer Kirche beauftragt,
Zeit zu haben und mir Zeit zu nehmen für Reha-Patienten, Kurgäste und
Urlauber. Das heißt konkret: Ich höre zu und zeige Verständnis für die
vielfältigen Herausforderungen, die Krankheit und das Leben einem
Menschen heute stellen, und sage damit: „Ich sehe dich in deiner
Lebenssituation.“ Ich bezeuge damit den Gott der Bibel, der das auch
immer wieder tut. Ich möchte den Patientinnen und Patienten Vertrauen
und Zuversicht mitgeben. Dann kann daraus eine Hoffnung werden. Gott ist
gerade in schwierigen Situationen mein Begleiter. Er befreit mich zwar
nicht unbedingt von Krankheit und Schmerz, aber er trägt sie mit mir.
Spürbar durch viele andere Menschen und den unsichtbaren, aber
mitgehenden Gott, den uns Jesus Christus in der Tradition des Ersten
oder Alten Testaments verkündet.
(Interview: Florian Ertl, stellv. MK-Chefredakteur der Münchner Kirchenzeitung)