Gott in der Arbeit auf die Spur kommen
Vor vielen Jahren erlebte ich, wie ein junger Muslim in der Personalabteilung nachfragte, ob er in seinen Schichtpausen den Gebetsteppich am Arbeitsplatz ausrollen und seine Tagesgebete verrichten dürfe. Die Anfrage wurde abgelehnt. Heute stellen Unternehmen eigene Ruheräume zur Verfügung. Wer will, findet jetzt Rückzugsräume für spirituelle Übungen und Gebete.
Spiritualität und Glaube waren als Tabuthemen lange aus der Arbeit ausgesperrt. Dann kam neben der physischen die psychische Gesundheit in den Fokus betrieblichen Gesundheitsmanagements. Seitdem werden arbeitgeberfinanzierte Atemtechnik- und Meditationskurse angeboten. Viele Organisationen haben entdeckt, dass Sinnerfüllung im Job („Purpose“) wichtig ist. Manchmal führt das sogar bis zur Gleichsetzung vom Sinnfinden in der Arbeit mit dem Lebenssinn. Menschen aus dem Silicon Valley (Kalifornien) berichten, wie sie „ganz“, „spirituell“ und „verbunden“ wurden durch ihre Arbeit. Menschen „Seelennahrung bieten“ benennt eine Personalverantwortliche den Kern der Personalarbeit.
Konsequente Trennung von Spiritualität und Arbeit auf der einen Seite – völlige Verschmelzung anderseits: Kann es einen mittleren Weg geben, in dem Spiritualität in der Arbeit gelebt werden kann, ohne den eigenen Glauben am Werkstor abzugeben, aber auch ohne die Arbeit oder das Unternehmen selbst zur „Religion“ zu machen?
Für mich persönlich ist Spiritualität die Ausrichtung meines Lebens
auf einen höheren Sinn. Spiritualität also als eine Art innerer Kompass,
der mir die Richtung für mein Leben weist. Er gibt mir Antwort auf die
Fragen: Woraus lebe ich? Woraufhin lebe ich? Wie lebe ich? Spiritualität
kann mir helfen, Gott zu spüren und seine Liebe auch direkt zu
empfinden.
Mein Arbeitsalltag ist meist ziemlich hektisch und oft unübersichtlich. Kein Wunder, dass ich mich da schon einmal verlaufe und die Ausrichtung aus dem Blick verliere. Dann hilft es mir, wenigstens einen Augenblick lang Zeit zu haben, um auf den Kompass zu schauen und mich neu zu orientieren.
Den Kompass der spirituellen Ausrichtung nutze ich nicht nur am Sonntag. Die göttliche Wirklichkeit schwebt nicht als „alter Mann mit weißem Bart“ über den Wolken, sondern lässt sich im Alltag entdecken. „Gott in allem suchen und finden“ formulierte Ignatius von Loyola (1491.–.1556), der Gründer des Jesuitenordens. Das gilt es jeden Tag umzusetzen, zum Beispiel in der Begegnung mit dem anderen.
Die Art und Weise, anderen Menschen zu begegnen, ist mir ein
tägliches Übungsfeld geworden. Es beginnt mit der Qualität der
Kommunikation. Während einer Videokonferenz Post abzuarbeiten und zu
telefonieren – nach dem Motte „Lass die da doch reden“ – ist keine
gelungene Kommunikation. „Liebende gegenseitige Mitteilung“ (wie
Ignatius „Kommunikation“ definiert) zeigt sich in aufmerksamem und
wohlwollendem Zuhören.
Schwieriger wird es bei Konflikten. Da
heißt es dann, beim Streit über die Urlaubsplanung oder die
Aufgabenverteilung im Team nicht über den konkurrierenden Kollegen oder
die ungerechte Chefin zu reden, sondern mit ihm oder ihr. Es hilft, mir
zunächst meine eigene Position und meine eigenen Bedürfnisse
klarzumachen, dann die unangenehmen Vorgänge oder Störungen offen und
auf Augenhöhe anzusprechen und schließlich in einen fragenden und
suchenden Austausch zu gehen. Oft können so gute nächste Schritte
gefunden werden. Eine Kultur der Pausen unterstützt mich dabei, in
vielen Momenten achtsamer und zugewandter sein zu können.
Selbst
in unserer schnelllebigen Zeit, bei einem dichtgedrängten Arbeitstag
mit vielen Ablenkungen ist kurzes Innehalten, eine Raum-Zeit für Gott
möglich: vor einem wichtigen Gespräch, einem Teammeeting oder einer
Präsentation.
Die französische Schriftstellerin und Mystikerin
Madeleine Delbrêl (†.1964) spricht von einer „Tiefenbohrung“. Dabei
kommt es nicht auf die investierte Zeit an, sondern auf die Intensität.
Diese spontane Hinwendung zu Gott im Lauf des Tages ist jederzeit
möglich. Es können auch „Stoßgebete“ vor einer schweren Situation sein,
die daran erinnern, Erdung und Fundament zu haben.
In Krisen zeigt sich besonders deutlich, wie Menschen miteinander umgehen und von welcher inneren Haltung aus das geschieht. Im Zweifel gilt es, für die Menschen zu entscheiden und nicht für die Strukturen. Als einmal eine beträchtliche Zahl an Arbeitsplätzen im Unternehmen wegfiel, fragte ich mich als Personalverantwortlicher: Wie gehe ich mit den betroffenen Menschen um? Nehme ich ihre Sorgen ernst? Es bleibt eine sehr schwierige Situation für die Betroffenen. Ich versuchte, ihnen in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat aktiv zu helfen, eine passende Alternative im Unternehmen und wenn nötig außerhalb zu finden.
Um im Arbeitsalltag die Gegenwart Gottes zu erleben, bedarf es geistlich-meditativer Einübung („Exerzitien“). Meine Übungen nehme ich überwiegend aus dem spirituellen Werkzeugkasten der Jesuiten beziehungsweise der ihnen nahestehenden Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL). In unserer Erzdiözese gibt es in der der Citykirche St. Michael in München einen wahren Schatz an offenen, regelmäßigen Angeboten von Jesuiten und GCL.
Eine Grundübung besteht darin, mit allen Sinnen wahrzunehmen: sehen,
hören, riechen, verspüren, was sich jetzt im Moment gerade im Herzen
zeigt. Als betender Mensch kann ich in einen inneren Dialog treten mit
dem, der mich – und das ist das Fundament – in Liebe begleitet. Der
hierbei geübte Dialog mit Gott verändert das Leben zum Besseren.
Einmal
im Jahr ziehe ich mich für ein paar Tage an einen stillen und
abgeschiedenen Ort zurück, um schweigend den Lärm in mir abklingen zu
lassen und Wahrnehmung und inneren Dialog zu üben. Oft sind diese
Übungen mit Erfahrungen innerer Klärung verbunden und einer spürbaren
Vertiefung der Selbst- und Gottesbeziehung.
In der GCL als
globaler Gemeinschaft von Menschen, die mitten im Beruf stehen und auf
der Suche nach Gottesbegegnung sind, kann ich mich in regelmäßigen
Gruppentreffen austauschen. Wenn wir einen beruflichen Erfolg feiern,
nehme ich die Verbindung zwischen den Menschen und mit dem Geist der
Lebendigkeit wahr. Wenn etwas schiefläuft, versuche ich es als
Übungsfeld für mich zu sehen im Bewusstsein, von einem größeren Ganzen
getragen zu sein. Ich schöpfe in der Gruppe immer wieder neue Kraft für
meinen Berufsalltag. Unterstützung bekomme ich auch von erfahrenen
geistlichen Begleitern. Mit meinem Begleiter führe ich alle drei bis
vier Wochen ein Gespräch, bei dem ich Erfahrungen auf meinem
spirituellen Weg reflektieren kann und weiterführende Impulse erhalte.
Im Alltag nehme ich mir täglich Zeit zu meditieren. Die Meditation kann
in Atemübungen, Körpergebet, der Betrachtung einer Bibelstelle oder
einem kurzen Tagesrückblick bestehen.
Es ist nicht immer
einfach, den Willen Gottes zu erkennen: Was ist gut und stärkt mich auf
dem Weg hin zu Gott? Was ist schädlich? Wechsel des Jobs, des
Arbeitsortes, des Unternehmens sind wichtige Lebensfragen. Spiritualität
kann bei der Unterscheidung der inneren Regungen und bei der
Entscheidung helfen.
Das Einlassen auf die Spiritualität ist
immer auch ein Abenteuer. Wenn ich die Übungen vollziehe, lasse ich mich
überraschen von dem, was sich zeigt. Ich lasse mich führen. Dazu
braucht es eine gute Portion Vertrauen in den Prozess und in den
liebenden Gott.
Spiritualität und Arbeit müssen keine strikt
getrennten Bereiche bleiben. In und mit der eigenen Arbeit kann ich
meinem Leben Sinn geben und am Schöpfungswerk Gottes mitwirken, ohne
gleichzeitig die Arbeit absolut zu setzen und mich völlig in ihr zu
verlieren. Wenn ich in der Arbeit immer wieder den tieferen Sinn spüren
und mich gut mit den Menschen verbinden kann, dann bin ich Gott auf der
Spur.
(Gunther Bös, Personalleiter
eines IT-Unternehmens der Automobilindustrie und Mitglied in der
katholischen Gemeinschaft Christlichen Lebens (GCL))