Das Evangelium als frohe Kunde
Jeden Tag um Punkt 20 Uhr beginnt sie mit dem Gongschlag: die Tagesschau. In einer Viertelstunde werden die Ereignisse des Tages kompakt zusammengefasst und für die Zuschauer aufbereitet. Wer wissen möchte, was sich im Laufe der letzten Stunden oder Minuten ereignet hat, muss nur eine der zahlreichen Nachrichtensendungen einschalten. Und wovon berichtet wird, das ist sehr vielfältig: Nachrichten über Krieg, Terror und Katastrophen finden dort genauso Raum wie Berichte über menschliches Versagen oder sportliche Erfolge. Nicht selten sagen deshalb Menschen: Wir hören und sehen oft nur die schlimmen und schrecklichen Nachrichten. Und tatsächlich: Vielleicht kommt die Berichterstattung über das Gute, das in unserer Welt geschieht, etwas zu kurz. Vielleicht wäre es besser, wir würden ab und zu mehr von dem abbekommen, was uns guttut, was uns Mut macht.
Unsere christlichen Gottesdienste sind freilich keine
Nachrichtensendungen, obwohl auch sie mit dem Glockenschlag beginnen.
Und doch hören wir auch in ihnen immer wieder einen Abschnitt aus einer
Nachricht, nämlich der „guten Nachricht“. Evangelium nennen wir das, was
wir in fast jedem Gottesdienst hören. Evangelium ist der griechische
Ausdruck, der auf Deutsch so viel wie „gute Nachricht“ bedeutet. Und
gute Nachrichten sind es wirklich, die uns in diesen Texten zugesagt
werden. Denn sie handeln vom Kommen Gottes in unsere Welt in seinem Sohn
Jesus Christus. Sie erzählen uns von der nahegekommen Gottesherrschaft,
die sich bereits im Anbruch befindet. Und sie lassen uns immer neu auf
Christus blicken, auf seine Taten und sein heiliges Leben. Das
Evangelium lässt uns immer wieder erkennen: Wir sind erlöste Menschen,
wir sind Menschen, die in Gottes Liebe leben dürfen. Wir können und
dürfen das, weil Christus uns die Tür zum Vater geöffnet hat, weil er
uns zuerst geliebt hat.
Das Evangelium gab es in der Antike häufig im Plural. Ursprünglich waren damit gute Nachrichten gemeint, die vom römischen Kaiser ausgingen. Besonders die großen römischen Festzeiten, wie Geburtstage oder die Jahrestage der Thronbesteigung eines Kaisers, wurden in der antiken Welt als Evangelia bezeichnet. Auch der Lebensraum Jesu gehörte damals zur Welt des römischen Imperiums. Und so ist es kein Wunder, wenn auch Jesus und die frühchristlichen Schriftsteller mit solchen Evangelia in Berührung gekommen sind. Doch schon beim Evangelisten Markus erfährt der Begriff Evangelium einen neuen Bedeutungsinhalt. Am Beginn seines Evangeliums schreibt er: „Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,14f)
Evangelium, das meint für Markus jene Botschaft vom Gottesreich, die
Jesus verkündet. Evangelium bezeichnet nun nicht mehr die gute
Nachricht, die der römische Kaiser seinem Volk verkündet. Sondern ein
Evangelium ist die Ansage der kommenden Gottesherrschaft und damit der
neuen Welt, in der Gott alles in allem ist. Jesus verkündet diese
Botschaft. Und Markus nennt sie Evangelium. Dieser Begriff hat nun
nichts mehr mit dem Kaiser in Rom zu tun, er ist vielmehr verdrillt mit
Christus und mit seiner Verkündigung des Gottesreiches. Das sind die
zwei wesentlichen Komponenten, die den Begriff Evangelium von nun an
prägen. Inhalt dieses Evangeliums sind deshalb auch nicht mehr
Nachrichten von militärischen Erfolgen oder der Thronbesteigung eines
neuen Kaisers. Inhalt des Evangeliums von Jesus Christus sind vielmehr
die Geschichten aus dem Leben Jesu, in denen auf unterschiedliche Weise
aufstrahlt, wie dieses Reich Gottes schon in dieser Welt präsent ist und
wie es sich nach und nach weiter durchsetzt. Das Evangelium von Jesus
als dem Christus ist letztendlich nichts anderes als die gute Nachricht
vom endgültigen Sieg über den Tod und der Erhebung des Gottessohnes zur
Rechten des Vaters. Das ist die gute Nachricht, die frohe Kunde
schlechthin: Als Christinnen und Christen leben wir nicht mehr im
Einflussbereich des Todes, sondern wir sind getauft auf das Leben
Christi, wir haben Anteil an seinem Ostersieg.
Wer eine gute
Nachricht hören will, der sollte öfters einmal die Bibel aufschlagen.
Denn dort sind sie versammelt: die vielen Nachrichten, die darüber
berichten, wie Jesus die Menschen geheilt hat, wie er das Gottesreich
in Wort und Tat angekündigt und verwirklicht hat. Er kommt den Menschen
nahe, er erlöst sie von allem, was böse und nicht heil ist, und lässt
sie aufatmen zum ewigen Leben. Davon berichten uns die Evangelien. Sie
sind deshalb für uns Menschen heute wirklich gute Nachrichten. Sie laden
uns ein, zu hören und zu handeln. Denn wenn wir so handeln, wie es
Christus getan hat, wird auch unsere Welt voller an guten Nachrichten,
die wir uns einander erzählen können.
(Fabian Brand, Theologe und Publizist)