Begegnungen mit Alexa Willems
Wo stehst Du?
Gehe in die Natur und lass Dich von Deiner Intuition an einen Platz leiten, an dem Du Dich wohlfühlst. Schau Dich um und nimm wahr, wo Du gerade stehst. Welche Bäume sind in Deiner Nähe? Buchen, Eichen, Fichten, Birken? Wo ist deren Wetterseite, wo wächst das meiste Moos? Und wie ist der Boden beschaffen? Was fällt Dir auf? Wenn etwas Deine Aufmerksamkeit in besonderer Weise auf sich gezogen hat, dann wende Dich ihm intensiver zu. Betrachte die Details, berühre die Oberfläche, schnupper daran. Was spricht Dich besonders an, was berührt Dich? Und was hat das mit Dir und Deiner Lebenssituation zu tun?
- Wo stehe ich in meinem Leben? Was umgibt mich? Was tue ich? Wie handle ich? Was kann ich besonders gut?
- Wovon bin ich überzeugt? Woran glaube ich?
- Was macht mir Freude? Was gelingt mir? Was erfüllt mich mit Stolz?
- Was ist ungelöst?
- Was will ich neu ausprobieren?
- Woran möchte ich festhalten?
- Von was möchte ich mich verabschieden?
- Wonach sehne ich mich?

Was trägst Du?
Es lohnt sich, sich immer wieder die Zeit zu nehmen, den eigenen Lebensrucksack aufzuräumen und zu schauen, was sich darin angesammelt hat – damit wir nicht Dinge durch die Gegend schleppen, die uns nicht mehr dienlich sind.
Folgende Fragen können Dir bei Deiner Bestandsaufnahme helfen:
- Was trägst Du in Deinem persönlichen Lebensrucksack?
- Was möchtest Du weiter mit Dir herumtragen?
- Und was möchtest Du loslassen? Was kann Dir beim Loslassen helfen?
- Gibt es unnötigen Ballast, den Du immer wieder selbst hineinlegst?
- Was steckt in Deinem Geheimfach?
- Was brauchst Du für Deine nächste Lebensetappe wirklich?
Was gibt Dir Halt?
Suche Dir einen Platz in der Natur, gerne in der Nähe eines Baumes, der Dich anspricht und der Dir ein Vorbild für eine gute Verwurzelung sein kann. Beginne mit einer Atemübung. Lege dazu eine Hand auf Deine Nabelgegend. Atme tief. Beim Einatmen wölbt sich die Bauchdecke nach außen, beim Ausatmen geht sie nach innen. Atme so fünfmal in Deinem Rhythmus. Lenke nun Deine Aufmerksamkeit auf Deine Füße und stelle Dir vor, dass von dort aus kleine Wurzeln in die Erde wachsen. Dass Du angebunden bist an diese stabilisierende Erd- und Wurzelenergie. Verteile dieses Gefühl mit Deinem Atem in Deinem gesamten Körper.
In diesem fest verwurzelten Zustand öffnet sich der Raum Deines intuitiven Wissens. Frage Dich:
- Was sind Deine Wurzeln, die Dich nähren und Dir Kraft geben?
- Was ist Dir wichtig?
- Was ist Deine Basis, die Dich durchs Leben trägt?
- Was hält Dich in Balance?
Worauf schaust Du?
Gehe in die Natur und komm dort ganz bewusst mit allen Sinnen an. Betrachte, was Du um Dich herum siehst. Lass Deine Alltagsgedanken dabei abfließen. Atme tief. Nun halte Ausschau nach fünf kleinen Dingen, die die Natur Dir zur Verfügung stellt und die allesamt in Deine Hosen- oder Jackentasche passen. Es bieten sich dafür kleine Steinchen, Kastanien oder Eicheln an. Wenn Du fünf Dinge gefunden hast, setze Deinen Weg fort und vertiefe Dich in den folgenden Gedanken: Wofür bin ich dankbar? Immer dann, wenn Dir etwas einfällt, wandert etwas von der einen in die andere Tasche. Mach das so lange, bis alle fünf Dinge auf der anderen Seite angekommen sind. Dann suche Dir einen schönen Platz auf Deinem Weg und schreibe Dir all das auf, wofür Du heute dankbar bist. Du kannst diese Übung in Deinen Alltag integrieren und auch anwenden, wenn Du nicht in der Natur unterwegs bist. Du wirst merken: Dankbarkeit hat große Kraft und ist ein sicherer Weg zu mehr Lebensfreude, Sinn und Glück.
Was gibst Du?
Mache Dich auf in den Wald. Atme bei Deinen ersten Schritten ruhig ein und aus. Spüre Deine Füße und rolle Deine Fußsohlen sanft und bewusst ab. Gehe langsam und schweigend und beruhige Deinen Geist. Nimm wahr, wie die Waldatmosphäre heute auf Dich wirkt. Nimm Dir Zeit, richtig anzukommen. Dann wende Dich dem Thema zu, das Dich heute in den Wald geführt hat: Was ist die Frage, die das Leben derzeit an mich stellt? Wo fühle ich mich gefragt? Lass Dir Zeit mit Deiner Antwort. Gehe langsam und bewusst voran auf Deinem Weg.
Im nächsten Schritt geht es darum, nach Möglichkeiten zu suchen, mit dieser Herausforderung umzugehen. Welche Möglichkeiten habe ich? Sammle für jede Möglichkeit, die Du siehst, einen symbolischen Stellvertreter aus der Natur.
Suche Dir dann einen Platz in der Natur, vielleicht einen Baumstamm, eine kleine Erhebung am Wegesrand oder etwas Ähnliches, wo Du die Dinge, die Du gesammelt hast, aufbauen kannst. Betrachte sie eingehend. Welcher davon zieht Dich in besonderer Weise an, was löst die Betrachtung in Dir aus? Nimm alles wahr. Dann stelle Dir die Frage: Was ist das Sinnvollste, was ist das Bestmögliche, das ich tun kann? Wenn Du eine Antwort gefunden hast, kannst Du den Naturgegenstand mitnehmen und als Erinnerungshilfe für die Umsetzung nutzen.
Alexa Willems, Jahrgang 1970, tauchte zu Beginn ihrer beruflichen
Laufbahn in die Bankenwelt ein, erreichte dort innerhalb weniger Jahre
die Führungsetage und wurde Teil von Entscheidungsgremien. Eine schwere
Erkrankung brachte sie in Berührung mit der Logotherapie von Viktor
Frankl, dessen sinnzentrierter psychotherapeutischer Ansatz sie
faszinierte. Ihr Studium der Logotherapie und Existenzanalyse
absolvierte sie in Tübingen, Innsbruck und Wien. Seit 2012 ist sie als
Logotherapeutin selbstständig und begleitet Menschen in den Bereichen
Prävention, Coaching und (Natur-)Therapie.
In ihrem Buch „Der Wald weist Dir den Weg“ gibt Alexa Willems dem Leser Lebensfragen an die Hand, die man am besten im Grünen klärt. Im Interview erzählt die Logotherapeutin, warum gerade die Natur der ideale Ort ist, das eigene Leben neu auszurichten.
MK: Der Herbst mit seinen bunten Blättern: Ist das Ihre Lieblingszeit im Wald?
ALEXA WILLEMS: Ja. Die Herbstzeit ist etwas ganz Besonderes für mich. Ich mag den Wechsel der Jahreszeit von Sommer zu Herbst: der morgendliche Nebel, der Wechsel der Farben, aber auch irgendwie diese besondere Würze, die in der Luft liegt. Und natürlich das bunte Laub. Ich finde, man ist doch wirklich nie zu alt, um wild durch einen Laubhaufen zu rennen.
MK: Haben Sie auch einen Lieblingsort im Wald?
WILLEMS: Ja, das ist der Kraftort, der auch Einzug in mein Buch gefunden hat. Das ist eine besondere Stelle auf einem niederrheinischen Berg. Bei uns ist ein Berg ja schon hoch, wenn er 100 Meter hat, und mein Lieblingsberg, der Oermter Berg, ist 68 Meter hoch. Dort gibt es eine kleine Kapelle, die inmitten hoher Bäume steht und immer ganz liebevoll geschmückt wird von drei Schwestern der Schönstatt-Bewegung, die dort oben wohnen. Die Kapelle ist für mich der Ort, an dem ich das Eintreten in Gottes Gegenwart so intensiv spüre wie an keinem anderen Ort. Das Kapellen-Fenster ist immer ein Stück weit geöffnet und man hört die großen Bäume rauschen. Das schafft eine ganz besondere Atmosphäre: Es ist sowohl Natur, aber auch fast so etwas wie ein heiliger Ort für mich.
MK: Natur und Wald haben schon Ihre Kindheit geprägt. Als Erwachsene ging diese Erlebniswelt für Sie dann erst einmal verloren. Was war passiert?
WILLEMS: Ich hatte eine klassische Bankenlaufbahn eingeschlagen, war sehr schnell im mittleren Management und im Entscheidungsgremium der Bank tätig. Aber das entsprach nicht meiner Natur. Und darüber wurde ich krank. Ich entwickelte eine massive Essstörung. Über ein sehr intensives Naturerlebnis mit Gottesbezug fand ich schließlich den Weg zurück in die Natur und zum Schöpfer. Ich ahnte damals aber noch nicht, dass ich meine spätere logotherapeutische Tätigkeit einmal mit der Natur verbinden könnte. Das kam erst später.
MK: Wie hat Sie denn Ihr Beruf als Logotherapeutin zurück in den Wald gebracht?
WILLEMS: Eines Tages musste mein Praxisraum renoviert werden und mir fehlte der Ort für Beratungen. In dieser Zeit bat mich eine Klientin, mit ihr eine Runde in der Natur zu gehen. Dabei passierte etwas, das mich überraschte: Dinge, die wir lange Zeit versucht hatten im Patientengespräch zu klären, gingen in der Natur wie von selbst. Ich habe dann Weiterbildungen im Bereich der Naturtherapie gemacht und erkannt, dass diese schon seit 30 Jahren ein probates Mittel für Wachstum und Stärkung von persönlichen Prozessen ist. Und so hat sich für mich der Kreis geschlossen.
MK: Logotherapie in der Natur beziehungsweise im Wald: Wie funktioniert das?
WILLEMS: Ich bin gemeinsam mit meinen Klienten, die ich Mitwanderer nenne, auf einem Weg. Die Klienten gehen und entdecken dabei meistens selbst. Dadurch verlieren die Patienten die einseitige Problemorientierung und bewegen sich hin zu Neugier und Hoffnung. Wenn ein Mensch auf diese Weise merkt, dass sein Leben wieder gelingen kann, dann werden seelische und körperliche Kräfte mobilisiert, weg von der Ohnmacht hin zu dem Weg, den ich selbst gestalten kann. Das ist das Ziel: Gestalter des Lebens zu sein, selbst wenn die Bedingungen nicht hervorragend sind, und den winzigen Spalt der Freiheit wahrzunehmen, wo ich eine Entscheidung treffen kann.
MK: In Ihrem Buch haben Sie Ihre bisherigen Erfahrungen als Logotherapeutin in sieben Lebensfragen zusammengefasst. Welche dieser Fragen ist denn für Sie die wichtigste?
WILLEMS: Jeder dieser sieben Fragen ist wichtig, und zwar zur rechten Zeit. Im Buch empfehle ich, die Fragen der Reihe nach zu beantworten und sich mit den Übungen zu erschließen. Denn es macht schon Sinn, sich von Zeit zu Zeit diese Lebensfragen zu stellen und sich damit auseinanderzusetzen, ähnlich wie so eine Art TÜV. Und Leben ist eben wandelbar. Deshalb macht es Sinn, sich immer wieder zu fragen: Bin ich auf dem richtigen Weg, oder was braucht es eigentlich, um mein Tempo zu finden, das richtig ist für mich und die Menschen, mit denen ich gemeinsam unterwegs bin? Das kann man mit den sieben Fragen gut herausfinden.
MK: Ist die Beantwortung dieser Fragen dann auch eine lebenslange Aufgabe?
WILLEMS: Ich denke, der Sinn des Lebens ist etwas Individuelles. Er findet sich in der Schnittmenge der Einzigartigkeit der Person mit ihren Problemen und Herausforderungen sowie der Einmaligkeit der Situation, in der sich diese Person zum Beispiel in Familie und Beruf befindet. Diese Schnittmenge ist die tägliche Sinnfrage, die das Leben an uns stellt. Und die kann auch nur jeder für sich beantworten. Und in der Tat: Das hört nie auf.
(Paul Hasel, Radio-Redakteur beim Michaelsbund)